Offener Brief des lvkm.nrw zum Rundschreiben Nr. 41/3/2024 „Eingliederungshilfeleistungen für Kinder mit (drohender) Behinderung – individuelle heilpädagogische Leistungen“

Sehr geehrte Frau Lubek, sehr geehrter Herr Dannat, sehr geehrte Damen und Herren,

der Landesverband für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung NRW e.V. (lvkm.nrw) ist ein landesweit tätiger Selbsthilfeverband mit insgesamt über 60 Mitgliedsorganisationen, die auch Dienstleistungen im Elementarbereich anbieten (Kitas, Frühförderstellen, Inklusionszentren etc.). Der lvkm.nrw ist kein eigenständiger Träger von Dienstleistungen der Eingliederungshilfe oder Kinder- und Jugendhilfe. Wir verstehen uns als unabhängiges Sprachrohr vor allem für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit hohen Unterstützungsbedarfen und deren Angehörige. Wir kommentieren kritisch Gesetzgebungen, Regelungen und Leistungsvereinbarungen zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern dann, wenn wir wesentliche Nachteile für die Lebenssituation der Betroffenen befürchten oder diese beseitigen möchten.

Das Rundschreiben Nr. 41/3/2024 „Eingliederungshilfeleistungen für Kinder mit (drohender) Behinderung – individuelle heilpädagogische Leistungen“ führte in den Reihen unserer Mitgliedsorganisationen, unter ihnen langjährige inklusive Kitas mit Erfahrungen in der Versorgung von Kindern mit hohen Unterstützungsbedarfen sowie Inklusionszentren, zu erhöhter Besorgnis in Bezug auf die Versorgung und Unterstützung von Kindern mit hohen Unterstützungsbedarfen in inklusiven Kindertageseinrichtungen.

Wir begrüßen die Zielsetzung der KiBiZ-Reform einer inklusiven und nachhaltigen KiTa-Landschaft in NRW. Wir stellen bei der aktuellen Umsetzung jedoch fest, dass die Begleitung von Kindern mit hohem Unterstützungsbedarf auch für bereits erfahrene und jahrelang inklusiv arbeitende Kindertageseinrichtungen zum aktuellen Zeitpunkt herausfordernd ist. Die Basisleistung I entspricht nicht den Bedarfen der Kinder mit hohen Unterstützungsbedarfen.
Hinzukommt, dass die Kitas, die bereits ein inklusives Konzept etabliert haben und leben, eine starke Nachfrage von Familien mit Kindern mit hohen Unterstützungsbedarfen erleben, was bei Aufnahme zu einer Konzentration an Kindern mit vielfältigen, speziellen Bedarfen führt. Da die Basisleistung II noch nicht verhandelt ist, sind die individuellen heilpädagogischen Leistungen eine Notwendigkeit, um eine adäquate Versorgung von Kindern mit hohen Unterstützungsbedarfen zu gewährleisten und ein wichtiger Baustein in der Etablierung eines inklusiven Settings. Wir unterstützen die Gesetzgebung in der Hinsicht, dass individuelle heilpädagogische Leistungen nur bewilligt werden, wenn es wirklich nötig ist. Wir machen jedoch die Beobachtung, dass die aktuelle Handhabung und Bewilligung von individuellen heilpädagogischen Leistungen uneinheitlich erfolgt. Somit kommt es vor, dass die Bearbeitungszeit oft so lange dauert, dass die Leistung erst verspätet einsetzt und die Kinder bis zur Bewilligung nicht in der Kita betreut werden können. Die daraus resultierende Belastung in der Familie verdeutlicht meist die Notwendigkeit einer Inklusionshilfe. Die Gewährung von individuellen Leistungen erst nach Eintrit in die Kita sehen wir als eine Verstärkung der beschriebenen Herausforderung im aktuellen inklusiven Kita-Alltag.

Die Auswirkungen der Situation in den Kitas auf den Lebensalltag von Kindern mit hohen Unterstützungsbedarfen und deren Familien sind erheblich.

So weisen die Erfahrungsberichte aus Inklusionszentren u.a. auf folgende Herausforderungen hin:

  • Kinder mit hohen Unterstützungsbedarfen erhalten seltener einen KiTa-Platz, u.a. aufgrund der Unsicherheit in Bezug auf Refinanzierung des Mehrbedarfs auf Seiten der Kitas.
  • Die Basisleistung I reicht nicht aus, um Kinder mit hohen Unterstützungsbedarfen in einem inklusiven Setting qualitativ gut zu versorgen. Laut unseren Beobachtungen kann die Qualität der Therapien in den inklusiven Kitas nachlassen, da z.B. externe Therapeuten in die Kitas kommen (Kind wird nicht im Alltag erlebt, wenig Flexibilität, um auf die Tagesform des Kindes einzugehen etc.) und ein erhöhter Abstimmungsbedarf im Team besteht.
  • Fachkräftemangel und hohe Krankheitsstände beim Personal wirken sich besonders nachteilig auf Familien mit Kindern mit hohen Unterstützungsbedarfen aus, da die Versorgung der Kinder in Zeiten der Notbetreuung schwieriger gewährleistet werden kann. Eltern von Kindern mit hohen Unterstützungsbedarfen müssen ihre Kinder daher häufiger zu Hause lassen. Sie haben auch seltener die Möglichkeit, auf ihr privates Umfeld zurückzugreifen. Das Nachgehen einer Berufstätigkeit wird für Eltern erschwert, die finanzielle Belastung in den Familien steigt.

Uns ist bewusst, dass die Bereitstellung von individuellen heilpädagogischen Leistungen nicht die alleinige Lösung der vielfältigen und komplexen Probleme ist. Jedoch empfinden wir das o.g. Rundschreiben in der aktuellen Situation als ein fatales und abschreckendes Signal an Kindertageseinrichtungen, Kinder mit hohen Unterstützungsbedarfen im inklusiven Setting zu betreuen.
Wir wünschen uns daher eine differenzierte Darstellung der Situation der inklusiven Kindertageseinrichtungen, die Kinder mit hohen Unterstützungsbedarfen aufnehmen und versorgen. Wir sehen es als dringend erforderlich, einen klaren Orientierungsrahmen für die Zugangsvoraussetzungen und Bewilligungskriterien für die individuellen heilpädagogischen Leistungen zu kommunizieren, um Unsicherheiten bei den Kita-Trägern vorzubeugen. Wir sprechen uns klar für die Möglichkeiten flexibler und personenorientierter Lösungen aus.

Sehr gerne sind wir zu einem näheren Austausch und der gemeinsamen Suche nach konstruktiven Lösungen, auch unter Heranziehung der Erfahrungen der benannten inklusiv arbeitenden Kitas und Inklusionszentren bereit und freuen uns über eine Rückmeldung Ihrerseits.

Mit freundlichen Grüßen

Marc Haine
Vorstand

Julia Fischer-Suhr
Geschäftsleitung

Kontakt:
Landesverband für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung NRW e.V.
Julia Fischer-Suhr
Brehmstraße 5-7
40239 Düsseldorf
Tel. 0174 802 58 03
Mail. j.fischer-suhr@lvkm-nrw.de

Fachtag und Delegiertenversammlung des Landesbehindertenrates NRW – „Rückbau ist gleich Rückschritt“

Am Samstag, den 8. Juni 2024 traf sich der Landesbehindertenrat NRW e.V. zu einem Fachtag mit anschließender Delegiertenversammlung in Düsseldorf. Neben Wahlen standen vielfältige Themen auf dem Programm, unter anderem Digitalisierung und Barrierefreiheit und der geplante Rückbau barrierefreier Umbauten in Stadien nach der Fußball-Europameisterschaft.

Ein Schwerpunkt des Fachtages waren die Themen Digitalisierung und Barrierefreiheit. Gero Büskens vom Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben Düsseldorf (KSL Düsseldorf) das Projekt „Digitale Karte Barrierefreiheit“ vor. Das Projekt wurde gemeinsam mit dem Ratinger Beirat für Menschen mit Behinderung und der Stadt Ratingen ins Leben gerufen und zielt darauf ab, auf digitalen Stadtkarten barrierefreie Orte aufzuzeigen und im nächsten Schritt die Karten barrierefrei nutzbar zu machen. Geplant ist, die Ratinger Karten als Modellprojekt zu etablieren, deren Grundstruktur dann von anderen Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen übernommen werden könnte. Wesentlich ist dabei die Zusammenarbeit mit Expert*innen in eigener Sache. 

Peter Gabor als Vorsitzender bestätigt

In der anschließenden Delegiertenversammlung wurde ein neuer Vorstand gewählt. Der amtierende Vorsitzende Peter Gabor wurde in seinem Amt bestätigt. Seine Devise lautet: Weg vom Papier hin zu praktischer Umsetzung. Neue stellvertretende Vorsitzende ist Kathrin Lemler vom Landesverband für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung NRW.

Gruppenfoto des neuen Vorstands des Landesbehindertenrats NRW, Hintere Reihe von links nach rechts: Helmut Etzkorn, Doris Langenkamp, Jeanette Severin, Kathrin Lemler (stellvertretende Vorsitzende), Peter Gabor (Vorsitzender), Karl Heinz Hoffmann, Vordere Reihe von links nach rechts: Gertrud Servos, Brigitte Piepenbreier, Maher Seger

Gruppenfoto des neuen Vorstands des Landesbehindertenrats NRW, Hintere Reihe von links nach rechts: Helmut Etzkorn, Doris Langenkamp, Jeanette Severin, Kathrin Lemler (stellvertretende Vorsitzende), Peter Gabor (Vorsitzender), Karl Heinz Hoffmann, Vordere Reihe von links nach rechts: Gertrud Servos, Brigitte Piepenbreier, Maher Seger

Barrierefreie Umbauten bestehen lassen

Nach lebhaften, aber konstruktiven Diskussionen endete die Delegiertenversammlung des Landesbehindertenrates NRW e.V. mit einem aktuellen und dringenden Appell an den Deutschen Fußball-Bund e.V. (DFB) und die Deutsche Fußball Liga GmbH (DFL). Zurzeit ist geplant, die barrierefreien Umbauten in den Stadien für die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland nach Ende des Turniers zurückzubauen. Fans, Verbände für Menschen mit Behinderungen und der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, zeigen sich darüber entsetzt. Der Landesbehindertenrat schließt sich entschieden an und fordert, die Umbauten bestehen zu lassen, weil Begegnungen im Sport Vorurteile abbauen und zu Inklusion beitragen. Peter Gabor sagt dazu: „Rückbau ist gleich Rückschritt und der geplante Rückbau deshalb unverständlich“.

Wir halten zusammen! – Resolution des Inklusionsbeirates Nordrhein-Westfalen vom 07. Juni 2024 

Resolution des Inklusionsbeirates Nordrhein-Westfalen vom 07. Juni 2024 

 In der Nacht auf den 27. Mai 2024 haben Unbekannte einen Anschlag auf eine Wohneinrichtung der Lebenshilfe für Menschen mit Behinderungen in Mönchengladbach-Giesenkirchen verübt. Tatwaffe war ein Ziegelstein mit der Aufschrift „Euthanasie ist die Lösung“. Daher ist von einem rechtsextremen Motiv auszugehen. Der polizeiliche Staatsschutz hat Ermittlungen aufgenommen. 

Mit der Aufschrift des Ziegelsteins wird auf das „Euthanasieprogramm“ der Nationalsozialisten ab 1939 angespielt, die das Leben von Menschen mit Behinderungen oder Erkrankungen als „unwert“ betrachteten. Im Rahmen der „Euthanasie“ wurden hunderttausende Menschen Opfer eines systematischen Massenmordes. 

Der Inklusionsbeirat Nordrhein-Westfalen verurteilt den Anschlag auf das Schärfste. Die Tat und die Bezugnahme auf rechtsextremes Gedankengut machen deutlich, wie wichtig es ist, sich geschlossen und solidarisch gegen Hass und Hetze zu stellen. 

Der Inklusionsbeirat Nordrhein-Westfalen ist besorgt über die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen. Denn: Aus hasserfüllten Worten werden Taten. 

Wer Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen verherrlicht oder gar fordert, greift die ganze Gesellschaft an. Das Land Nordrhein-Westfalen ist ein offenes und tolerantes Land. Die Vielfalt aller Menschen gestaltet unser Land und macht uns stark. 

Unsere demokratische Gesellschaft basiert auf der Achtung der Menschenrechte. 

Diese zu wahren und die Inklusion von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen zu verwirklichen, ist Anliegen des Inklusionsbeirates Nordrhein-Westfalen: 

Wir halten zusammen! 

Landesorganisationen der Selbsthilfe fordern transparente Verfahren für Eingliederungshilfen junger Menschen mit Behinderungen

Vorbemerkung:

Entsprechend dem Auftrag des SGB IX sind in NRW inzwischen im Landesrahmenvertrag die wesentlichen Vertragsgrundlagen für Leistungen der Eingliederungshilfe getroffen worden. Vertragspartner dieser Vereinbarungen waren und sind gemäß § 131 SGB IX auf der einen Seite die „Träger der Eingliederungshilfe“ (Landschaftsverbände, Landkreise und kreisfreie Städte) und auf der anderen Seite die „Vereinigungen der Leistungserbringer“ (i.W. die Freie Wohlfahrt). Die dritte Bank mit beratender Stimme ist die organisierte Selbsthilfe als „Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen“. Die in diesem Vertragswerk verabschiedeten Rahmenbedingungen und Leistungsbeschreibungen werden nach Beratung in Arbeitsgruppen in der Gemeinsamen Kommission kontinuierlich konkretisiert und fortgeschrieben.

Im Rahmen einer Bewertung des bisherigen Verlaufs der Verhandlungen müssen wir als Landesverbände der Selbsthilfe feststellen, dass für junge Menschen mit Behinderungen die erzielten Vereinbarungen zum Teil wegen komplizierter Zuständigkeits- und Verfahrensregeln auf Landesebene leider nicht zu der vom Gesetzgeber gewünschten Einheitlichkeit und Transparenz beigetragen haben.

Dies betrifft insbesondere die ambulanten Eingliederungshilfen (s. dazu die Rahmenleistungsbeschreibungen zu A.2.6-8):

  • Schulbegleitungen und Teilhabe an Bildung als Eingliederungshilfen nach (§ 112, 75 SGB IX),
  • Assistenz für Kinder und Jugendliche im familiären Kontext (§§ 113, 79 SGB IX),
  • Autismusspezifische Fachleistungen (§§ 112, 113, 75, 79 SGB IX) bei Autismus-Spektrum-Störungen.

1. Zur Regelung des § 1 AG-SGB IX NRW:

Die verwirrenden Zuständigkeitsregelungen finden sich zum einen in den in § 1 AG-SGB IX NRW vorgegebenen und wenig nachvollziehbaren Wechseln der Leistungsträgerschaft bei ambulanten Eingliederungshilfen für junge Menschen.

So liegt die Trägerschaft solcher Leistungen im Vorschulalter zunächst wie bei grundsätzlich allen Eingliederungshilfen bei den Landschaftsverbänden, wechselt mit der Einschulung zu den Kreisen und kreisfreien Städten über und nach dem Schulbesuch wieder zurück zu den Landschaftsverbänden. Dies bedeutet je nach Lebensalter unterschiedliche Zuständigkeiten vor, während und nach dem Schulbesuch, was für die Betroffenen und ihre Familien, für die beteiligten Leistungsträger wie auch für die Leistungserbringer mit Intransparenz, erheblicher Bürokratie, Verunsicherung, Kosten- und Zeitaufwand sowie Schnittstellenproblemen verbunden ist. Die Leistungserbringer, oft Organisationen der Selbsthilfe, sind dadurch mit einer Vielzahl von Vertragspartnern konfrontiert und müssen für die gleiche Leistung unterschiedlichste Verhandlungen führen.

Wir fordern daher vom Landesgesetzgeber in Abänderung von § 1 Abs. 2 auch für ambulante Eingliederungshilfen zugunsten junger Menschen eine altersunabhängige Zuständigkeit nach § 1 Abs. 1 AG-SGB IX NRW.

2. Zum Umgang mit Ansprüchen nach § 35a SGB VIII:

Eine weitere und zusätzliche Problematik ergibt sich für junge Menschen bei seelischen Behinderungen aus dem zunehmend uneinheitlichen Umgang der Jugendämter in NRW mit ambulanten Ansprüchen auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII.

Zwar werden in der Regel für Ansprüche auf ambulante Eingliederungshilfen nach § 35a SGB IX von den meisten Jugendämtern ggf. nach § 123 ff SGB IX getroffene Vereinbarungen zugrunde gelegt, wenn es sich um Leistungen handelt, die den gleichen Adressatenkreis betreffen. Dies entspricht dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers, indem er in § 35a SGB VIII ausdrücklich auf die Eingliederungshilfe nach dem SGB IX verweist. Zunehmend gehen Jugendämter aber dazu über, grundsätzlich eigene Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen verhandeln zu wollen, wenn für junge Menschen entsprechend dem Wunsch- und Wahlrecht nach § 5 SGB VIII ambulante Eingliederungshilfen beantragt werden.

Dies ist für alle Beteiligten mit Zeitaufwand, vermeidbarer Bürokratie und fehlender Transparenz verbunden und insbesondere dann nicht nachvollziehbar, wenn der Leistungserbringer hierfür eine Leistungs- und Vergütungsvereinbarung nach dem SGB IX getroffen hat, der die gleiche Fachkonzeption und Leistungsbeschreibung zugrunde liegt, wie dies bei Schulbegleitung, Assistenz im familiären Kontext und autismusspezifischer Fachleistung der Fall ist.

  • Für solche Eingliederungshilfen auch seitens der Jugendämter grundsätzlich die ggf. nach § 123 SGB IX getroffenen Vereinbarungen anzuwenden, ist u.a. aus folgenden Gründen sinnvoll:
  • Für diese ambulanten Eingliederungshilfen finden in NRW die für Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen geltenden Vorschriften der §§ 78b bis 78g gem. § 78a SGB VIII keine Anwendung.
  • Für gleiche Leistungen bei gleicher Fachkonzeption und Leistungsbeschreibung unterschiedliche Vereinbarungen und Entgelte zu vereinbaren, widerspricht gegenüber den Leistungsberechtigten dem Gleichbehandlungsgrundsatz und verhindert schnelle und unbürokratische Hilfe.
  • Dem Willen des Gesetzgebers nach möglichst einheitlichen Hilfen für Menschen mit Behinderungen widerspricht es, wenn es für die Jugendämter in NRW kein einheitliches, vorhersehbares und transparentes Verfahren für diese ambulanten Eingliederungshilfen gibt. Gemäß § 78a Abs.2 wäre dies auf Landesebene möglich.
  • Die Träger der Jugendhilfe (Kommunale Jugendämter und Landesjugendämter) haben im Interesse der Einheitlichkeit landesweit nur eine Handreichung für Hilfen zur Erziehung, nicht aber für Eingliederungshilfen erarbeitet.

Wir fordern daher einen landeseinheitlichen Umgang mit Ansprüchen auf ambulante Eingliederungshilfen nach § 35a SGB VIII, was entweder durch die Landschaftsverbände und kommunalen Spitzenverbände mit einheitlichen, am SGB IX ausgerichteten Vorgaben erreicht werden könnte oder durch den Landesgesetzgeber gem. § 78a Abs. 2 SGB VIII.

Da inzwischen viele junge Menschen und ihre Familien von diesen Unsicherheiten betroffen sind und ihnen aktuell zunehmend schnelle Hilfen vorenthalten bleiben, bitten wir um eine zügige Befassung der

hier angesprochenen Themen.

Deshalb möchten wir auch ausdrücklich bitten, damit nicht auf die vom Gesetzgeber geplante Reform des SGB VIII zu warten, zumal die von uns vorgeschlagenen Änderungen bzw. Klarstellungen weder dem aktuellen noch den geplanten Änderungen entgegen stehen, sondern sogar schon Schritte in Richtung der angestrebten „integrierten Lösung“ sein können und nach unserer Überzeugung jetzt und in Zukunft mit Klarheit und unbürokratischen Abläufen den jungen Menschen, den Leistungsanbietern und auch den beteiligten Jugendämtern zugute kämen. Dies ist schon heute dringend geboten!

Düsseldorf, im Januar 2024

GO NRW: Bündnis fordert Änderung der Gemeindeordnung

Eine starke Demokratie braucht vielfältige Teilhabe. Menschen mit Behinderungen, jungen und älteren Menschen fehlen vielerorts die Chancen auf politische Mitwirkung. Das Bündnis „GO NRW – politische Teilhabe stärken“ möchte das ändern und richtet sich mit konkreten Forderungen an die Landes- und Kommunalpolitik.

„Weniger als die Hälfte der nordrhein-westfälischen Kommunen hat Formen der Interessenvertretung im Sinne des § 27a der Gemeindeordnung wie Beiräte für Menschen mit Behinderungen, Seniorenvertretungen oder Jugendräte. Dabei stärken diese mit ihrer Expertise nicht nur Politik und Verwaltung, sondern auch das demokratische Miteinander”, heißt es von dem Bündnis, zu dem sich die LAG Selbsthilfe NRW, der Landesbehindertenrat NRW, der Landesjugendring NRW, die Landesseniorenvertretung NRW, der Verein Politisch Selbstbestimmt Leben NRW, der Sozialverband Deutschland NRW und der Sozialverband VdK NRW zusammengeschlossen haben. Kooperationspartner sind die Kompetenzzentren Selbstbestimmt Leben (KSL) NRW. Damit alle Menschen umfassend, gleichberechtigt, selbstbestimmt und wirksam an der Kommunalpolitik teilhaben können, fordert das Bündnis vier Maßnahmen von der Landes- und Kommunalpolitik ein. Bei der konkreten Umsetzung sehen sich die Beteiligten mit ihrem breiten Fachwissen als Unterstützer:

  • Änderung der Gemeindeordnung
    Bisher konnten Kommunen freiwillig entscheiden, Vertretungen zu bilden oder Beauftragte zu bestellen, die sich für die Belange von Menschen mit Behinderungen, jungen und älteren Menschen einsetzen. Das Bündnis fordert, dass Kommunen dazu verpflichtet werden. Kurzum: Wenn Menschen sich engagieren wollen, dann muss dies im Sinne der Demokratie und für eine inklusivere Gesellschaft ermöglicht werden.
  • Bereitstellung von Mustersatzungen und Empfehlungen
    Die Landesregierung soll für die Kommunen Mustersatzungen und Empfehlungen für effektive Teilhabestrukturen bereitstellen.
  • Sicherstellung der Barrierefreiheit
    In der Kommunalpolitik muss bauliche, kommunikative und digitale Barrierefreiheit vollumfänglich sichergestellt werden. Ansonsten bleiben viele Menschen von der Politik ausgeschlossen.
  • Fortbildung und Empowerment ermöglichen
    Beschäftigte der Kommunen sollen die Möglichkeit bekommen, sich zum Thema inklusive Kommunalpolitik weiterzubilden. Menschen, die sich vor Ort einbringen möchten, sollten Angebote zum politischen Empowerment erhalten.

[Die vollständig ausformulierten Forderungen finden sich im beigefügten Bündnispapier]

Beiräte und Beauftragte bündeln die Belange von Menschen, die bisher in der Politik unterrepräsentiert sind. Für junge Menschen sind hier einerseits direkte Beteiligungsprojekte oder Jugendräte relevante Orte, um sich Gehör zu verschaffen und andererseits anwaltschaftliche Beteiligungsformen wie Jugendverbände und Jugendringe. Bei älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen empfehlen sich Seniorenvertretungen beziehungsweise Inklusionsbeiräte als Selbstvertretungsgremien oder entsprechende Beauftragte. Sie alle stärken Politik und Verwaltung vor Ort, indem sie ihre Expertise einbringen. Bei Planungen weisen sie frühzeitig auf Verbesserungen hin, um somit spätere kostenintensive Korrekturen vermeiden.

Um eine verpflichtende Einrichtung von Interessenvertretungen zu erreichen, führt das Bündnis Gespräche mit Vertreter*innen der nordrhein-westfälischen Landespolitik, mit kommunalen Spitzenverbänden und weiteren Akteuren und plant verschiedene Aktivitäten.

Bündnispapier „GO NRW – politische Teilhabe stärken“ 

Präambel 
Menschen mit Behinderungen, junge und ältere Menschen sollen als Expert*innen in eigener Sache umfassend, gleichberechtigt, selbstbestimmt und wirksam an der Kommunalpolitik teilhaben. Dieser Anspruch ergibt sich aus bestehenden Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen und dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes. Dafür setzt sich das Bündnis „GO NRW – politische Teilhabe stärken“ aus verschiedenen Interessenvertretungen ein. Politische Teilhabe in den Kreisen, Städten und Gemeinden Nordrhein-Westfalens muss durch partizipative Strukturen ermöglicht, durch eine teilhabeorientierte Kultur gewollt und durch politische Aktivität mit Leben gefüllt werden. Weniger als die Hälfte11 der nordrhein-westfälischen Kommunen haben eine Form der Interessenvertretung im Sinne des § 27a GO NRW. Um das zu ändern, fordert das Bündnis vier Maßnahmen von der Landes- und Kommunalpolitik ein. 

1. Änderung der Gemeindeordnung 
Die Kann-Regel in § 27a GO NRW soll zu einer Muss-Regel werden. Kommunen würden damit verpflichtet, zur Wahrung der Belange von Menschen mit Behinderungen, jungen und älteren Menschen Vertretungen zu bilden oder Beauftragte zu bestellen. Gesetzliche Vorgaben zur Jugendhilfeplanung sind zu berücksichtigen. 

2. Bereitstellung von Mustersatzungen und Empfehlungen 
Die Landesregierung soll unter Einbeziehung des Bündnisses Mustersatzungen und Empfehlungen als Orientierungshilfe bereitstellen. Darin sind unter anderem effektive Beteiligungsrechte, der Grundsatz der Parteineutralität von Beiratsmitgliedern beziehungsweise Beauftragten, die Sicherstellung von Barrierefreiheit von politischer Teilhabe sowie die Bereitstellung einer begleitenden Verwaltungsstruktur zu regeln. Ein beteiligungsorientiertes Demokratieverständnis, aus dem die Vorteile politischer Teilhabe für Politik, Verwaltung, Öffentlichkeit und Engagierte hervorgehen, ist zu definieren. 

3. Sicherstellung der Barrierefreiheit 
Damit Menschen mit Behinderungen politisch teilhaben können, muss bauliche, kommunikative und digitale Barrierefreiheit vollumfänglich in der Kommunalpolitik sichergestellt werden. Bedarfe vor jeder Veranstaltung sind deshalb abzufragen und Hilfen wie persönliche Assistenz, Übersetzungen in Leichte Sprache, Begleitung durch eine Verstehensassistenz bei Lernschwierigkeiten, Gebärdensprachverdolmetschung für Gehörlose, technische Hörhilfen für Schwerhörige, zusätzlicher Kostenersatz, z. B. für besondere Fahrdienste, Übertragungen der Sitzungsmaterialien in barrierefreie Dokumente, bereit zu stellen. 

4. Fortbildung und Empowerment ermöglichen
Zur Förderung einer wirksamen und konstruktiven politischen Arbeit sind Seminarangebote für Verwaltungsmitarbeitende und für Engagierte erforderlich. Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung zum Thema der politischen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, jungen und älteren Menschen sind notwendig. Für Interessierte und Engagierte der Selbst- und Interessensvertretung braucht es Empowerment, um für das politische Engagement zu motivieren und um über Strukturen und Handlungschancen der Kommunalpolitik zu informieren. 

  1. Laut Teilhabebericht Nordrhein-Westfalen 2020 haben 48 % der NRW-Kommunen keine Form der Interessenvertretung von Menschen mit Behinderung. Nach Angaben des Kinder- und Jugendrats NRW bestehen in 23 % der NRW Kommunen Formen wie ein Kinder- und Jugendrat. Die Landesseniorenvertretung gibt an, dass rund 43 % der NRW-Kommunen eine Seniorenvertretung haben.   ↩︎

in Kooperation mit

Stellenanzeige: Referentin / Referenten (m/w/d) zur Führung der Geschäftsstelle

Der Landesbehindertenrat NRW e.V. ist gemäß seiner Satzung ein Zusammenschluss von Selbsthilfeorganisationen und Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderung und Menschen mit chronischen Erkrankungen. Der Zusammenschluss dient dem Ziel der politischen und gesellschaftlichen Repräsentanz gemeinsamer Ziele und Zwecke im Land Nordrhein-Westfalen. Er befasst sich mit der Behindertenpolitik in NRW und bietet seinen Mitgliedsverbänden eine Plattform für Austausch und Verständigung. Im Mittelpunkt stehen die Interessen und Lebenslagen der behinderten und
chronisch kranken Menschen in NRW. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die gemeinsamen Anliegen seiner Mitgliedsverbände zu identifizieren sowie sich in Absprache mit diesen hierfür gegenüber allen gesellschaftlichen Instanzen
und Institutionen einzusetzen. Die Anerkennung durch die jeweiligen Landesregierungen manifestiert sich u.a.

  • in der Einbeziehung in die Diskussionsprozesse um die Gesetzgebung, insbesondere zu Gleichstellung und Inklusion
  • in den seit 1994 mit Landesmitteln projektfinanzierten Landesbehindertentagen
  • in den jährlichen Zuwendungen für die Untergliederungen im Rahmen der Förderung des sozialen Ehrenamts (seit 1997)
  • in der Begleitung der Ausrichtung der Arbeit der „Agentur Barrierefrei“
  • in der Beteiligung an den Gremien zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und des BTHG in NRW und
  • in der Entsendung von Repräsentant:innen der Selbsthilfe und Koordinierung der Beratung in Gremien des Landes und der Landschaftsverbände.

Aufgabe der Geschäftsstelle:

Aufgabe der Geschäftsstelle ist es, die verbandsübergreifenden Ziele des LBR NRW umzusetzen. Sie ist Dreh- und Angelpunkt aller Kommunikationen und pflegt Kontakte zu Institutionen wie den relevanten Ministerien, der Landesbehindertenbeauftragten, den Kompetenzzentren Selbstbestimmt Leben, der Monitoring-Stelle des Deutschen Instituts für Menschenrechte, zu Wissenschaft und Forschung. Das so erworbene Wissen wird dem Vorstand und den Mitgliedsverbänden übermittelt und für deren Initiativen genutzt, ggf. werden Aktionsbündnisse zu speziellen Themen initiiert.


Zur Leitung der Geschäftsstelle suchen wir zum 01. Oktober 2023 und befristet bis zum 31.8.2025 eine/n engagierte/n
Referentin / Referenten (w/m/d) (20h / Woche).

Ihre zukünftigen Aufgaben:

  • Initiierung und Koordinierung partizipativer Prozesse und Formulierung gemeinsamer Anliegen in Bezug auf das Leitbild des LBR NRW
  • Vorbereitung und Koordinierung von politischen Stellungnahmen, z.B. zu Gesetzesentwürfen, und Versand an Ministerien oder Landtag
  • Koordinierung der Arbeitskreis- und Gremienarbeit (z.B. gemeinsame Kommission, Vorbereitender Ausschuss des Inklusionsbeirats NRW)
  • Vor- und Nachbereitung der LBR-Gremien, insbesondere Vorstand und Delegiertenversammlung
  • Bündelung und Weiterleitung relevanter Informationen an den Vorstand
  • ggf. Vertretung des LBR NRW in Gremien und öffentlichen Veranstaltungen in Absprache mit dem Vorstand
  • Netzwerkarbeit (z.B. Kontakt zur Koordinierungsstelle der LBBP)
  • Öffentlichkeitsarbeit (Vorbereitung von Pressemitteilungen und -gesprächen, Aktualisierung der Website, Aufbau einer Social-Media-Präsenz)
  • Geschäftsführung samt Mittelakquise, Erstellen von Anträgen und Berichten

Unsere Erwartung an Sie:

  • abgeschlossenes Studium, Diplom/Master (Sozialwissenschaften, Politikwissenschaften oder vergleichbar)
  • Affinität zu den Themen der gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, Menschenrechte, Gleichstellung sowie Antidiskriminierung (UN-BRK, BGG, AGG, SGB)
  • Berufserfahrung in diesen einschlägigen Arbeitsfeldern, Projektmanagement und Projektleitungserfahrung samt Bewirtschaftung öffentlicher Mittel
  • Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit
  • gute Kenntnisse im Umgang mit den MS Office-Anwendungen (Word, Excel, PowerPoint)
  • gute Kommunikationsfähigkeiten, Eigeninitiative und Belastbarkeit sowie wissenschaftliches Arbeiten und strategisch-analytisches Denkvermögen
  • Teamfähigkeit und hohe Dienstleistungsbereitschaft
  • Identifikation mit den Werten und Zielen des Landesbehindertenrates NRW e.V.

Wir bieten:

  • einen barrierefreien Arbeitsplatz in Düsseldorf mit flexibler Arbeitszeitgestaltung samt Möglichkeit zur Arbeit im Home-Office nach Absprache
  • die Möglichkeit zu eigenverantwortlichem Arbeiten auf hohem Niveau und in vielfältigen Themengebieten
  • eine leistungsgerechte Vergütung in Anlehnung des TV-L E 11
  • eine betriebliche Altersvorsorge (VBLU)

Haben wir Ihr Interesse geweckt? Dann freuen wir uns über Ihre aussagekräftige Bewerbung mit Anschreiben, Lebenslauf und Zeugnissen per E-Mail (möglichst zusammengefasst in einer PDF-Datei) oder postalisch bis zum 30.09.2023 an:


Den Vorsitzenden des Landesbehindertenrat Nordrhein-Westfalen e.V.

Peter Gabor
Grafenberger Allee 368
40235 Düsseldorf
info@landesbehindertenrat-nrw.de


Telefonische Auskunft erteilt Peter Gabor unter: 0151 17278565

Die Stelle ist projektbedingt bis zum 31.8.2025 befristet. Bei gleicher Eignung werden Bewerberinnen und Bewerber mit Behinderung bevorzugt eingestellt.

Hürden im Alltag für Menschen mit Behinderung abbauen – Landesbehindertenrat zu Gast im Landtag

„Die politische Weichenstellung der Themen Bauen, Wohnen und inklusive Bildung hat große Wirkung auf ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderung.“ Peter Gabor, der Vorsitzende des Landesbehindertenrates (LBR NRW) machte im Landtag deutlich, warum diese Themen hohe Priorität haben.

Inklusive Bildung in NRW: Artikel 24 UN-BRK umsetzen – ein inklusives Bildungssystem als Regelschulsystem aufbauen

In seiner Analyse zur Umsetzung des inklusiven Unterrichts vom April 2023 kommt das Deutsche Institut für Inklusion und Menschenrechte (DIMR) zu der Einschätzung, dass jungen Menschen ihr Potential nicht voll entfalten können, wenn ihnen der Zugang zu hochwertiger Bildung verweigert wird. Die Folgen seien u.a. weniger Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, keine wirtschaftliche Unabhängigkeit und Armut. Die Forschung habe gezeigt, dass diese Folgen in gesteigertem Maße für Menschen mit Behinderungen gelten, denen das Recht auf inklusive Bildung an einer allgemeinbildenden Schule verwehrt werde. Das sei faktisch für viele Schüler*innen in Deutschland der Fall, die in Förderschulen unterrichtet würden.

14 Jahre nach Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention ist die Umsetzung des inklusiven Unterrichts, abgesehen von Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein, in Deutschland kaum vorangekommen, und es gibt Prognosen, dass die Exklusionsquoten bis zum Jahr 2030 stagnieren werden.

Im Aktionsplan NRW inklusiv 2022 ist zwar die inklusive Bildung erwähnt und als Zielplanung angegeben, aber es sind weder konkrete Maßnahmen noch ein Zeitplan der Umsetzung angegeben.

Dies kritisieren auch die Behindertenbeauftragten auf ihrer Tagung in Düsseldorf am 9. Dezember 2022 und fassen ihre Forderungen im Forderungspapier der Behindertenbeauftragten des Bundes und der Länder zur inklusiven schulischen Bildung zusammen.

Die Monitoringstelle als Kontrollinstanz zur Umsetzung der UN-BRK kritisiert zum wiederholten Male die mangelhafte Umsetzung einer inklusiven Bildung und weist daraufhin, dass „falsche Weichenstellungen“ gesetzt worden sind. Sie empfiehlt unter anderem folgendes:

  • Änderung des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes und Aufhebung des Haushaltsvorbehalts bezüglich des Rechtsanspruchs auf inklusive Beschulung
  • Umschichtung personeller und finanzieller Ressourcen von den Förderschulen zu inklusiven Schulen;
  • Unterstützung der Kommunen, um die Voraussetzungen für ein inklusives Bildungssystem zu schaffen;
  • Einbeziehung der bimodalen und bilingualen Beschulung von gehörlosen und hochgradig schwerhörigen Schüler*innen in allgemeinbildenden Schulen in ein inklusives Gesamtkonzept…

Eine Förderung von Kindern mit Beeinträchtigungen ist in der Regelschule möglich, wenn die Klassengröße grundsätzlich verringert wird und ständig zwei Lehrpersonen anwesend sind, die auf die besonderen Bedarfe aller Kinder zeitnah und bedarfsgerecht eingehen. 

Wir unterstützen die Forderung von Klaus Klemm in seiner Expertise Bildungspolitische Strategien inklusiver Bildung in Deutschland, März 2020, das Elternwahlrecht zu Gunsten von Förderschulen aufzuheben, obwohl wir wissen, dass Eltern die Förderschulen als Ganztagsschulen mit ihren therapeutischen Angeboten schätzen.

Bis zum Aufbau eines umfassenden inklusiven Regelschulsystems sollten die bestehenden Förderschulen für Kinder ohne Beeinträchtigungen geöffnet werden. 

Die ungleiche Entlohnung von pädagogischem Personal in den Förderschulen und Regelschulen ist aufzuheben.

Aktuell stehen wir vor der Situation, dass die Umsetzung der UN-BRK in Kindertageseinrichtungen vermehrt geschieht, im Primarbereich lediglich auf Antrag der Erziehungsberechtigten und im Sekundarbereich sowie in Berufsbildenden Schulen / Ausbildung äußerst selten.

Der Zugang zu Bildung ist eine wesentliche Bedingung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – im Sinne eines lebenslangen Lernens dient Bildung der Entfaltung der Persönlichkeit und der Weiterentwicklung von Kompetenzen bis ins hohe Alter. Lebenslange Bildung ist daher gesetzlich in Art. 24 der UN-BRK verankert. Erwachsene Menschen mit Behinderungen und insbesondere Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf haben bisher jedoch wenig Möglichkeiten, über die gesamte Lebensspanne Bildungsangebote wahrzunehmen. 

Im Kontext der weiterführenden bzw. außerschulischen Bildung im Aktionsplan NRW sind keine Maßnahmen für Erwachsene mit hohem Unterstützungsbedarf geplant. Einer Bildungsverpflichtung zur inklusiven Erwachsenenbildung, wie auf S. 57 des Aktionsplans benannt, kommt die Landesregierung somit nicht nach.

Wir fordern daher:

Die Teilnahme an Bildungsveranstaltungen muss Menschen mit Behinderungen im §2 Abs. 6 Weiterbildungsgesetz (WBG NRW) uneingeschränkt zugesichert werden und darf nicht an finanziellen und baulichen/technischen Barrieren scheitern.

Menschen mit Beeinträchtigungen müssen in die inklusive Erwachsenenbildung einbezogen und als Lehrende qualifiziert werden.

Die Teilnahme an Bildungsveranstaltungen muss Menschen mit Behinderungen im §2 Abs. 6 Weiterbildungsgesetz (WBG NRW) uneingeschränkt zugesichert werden.

Der Aktionsplan NRW inklusiv hält gute Angebote zur Aufnahme einer Tätigkeit oder Arbeit bereit (Budget für Arbeit, Modifizierte Ausbildungsgänge, Hilfsmittelpools…). Wir hoffen, dass die neuen gesetzlichen Regelungen der Bundesregierung zum „Inklusiven Arbeitsmarkt“ (März 2023) die bestehenden Angebote noch verbessert, da jede Bildung in eine bezahlte, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung einmünden soll. Selbstbestimmte Teilhabe ist ohne finanzielle Absicherung nicht möglich.

Last but not least sei auf die fehlende Teilhabeunterstützung von chronisch kranken Schüler*innen hingewiesen. Die durch deren Krankheit bedingten häufigen Unterrichtsausfälle werden nicht institutionell kompensiert, stellen eine starke psychische Belastung für die Betroffenen dar und führen oft zu Klassenwiederholungen. Hier ist großer Handlungsbedarf!

Düsseldorf, 05.05.2023

Forderungen des Landesbehindertenrates NRW e.V. zur Novellierung der BauO NRW

Für die freie Wahl des Wohnortes und der Wohnform für Menschen mit Behinderung sind bezahlbare, barrierefreie Wohnungen in ausreichender Zahl unerlässlich. Laut Teilhabebericht der Landesregierung bewerten lediglich 18% der erwachsenen Menschen mit Beeinträchtigungen in NRW ihre Wohnung bzw. ihr Haus als „altengerecht, barrierefrei“. Nach Berechnungen der Wohnungsmarktprognose bis 2040 fehlen derzeit in NRW rund 438.000 barrierefreie Wohnungen – und zusätzlich müssen bis 2040 672.320 weitere altersgerechte Wohnungen neu entstehen, um den Bedarf zu decken.[1] Weiter heißt es in dem Bericht: „Die Herausforderung, altersgerechten Wohnraum bereitzustellen, betrifft grundsätzlich alle Regionen in Nordrhein-Westfalen, denn alle Kreise und kreisfreien Städte sind mit einer steigenden Zahl an Haushalten mit älteren Menschen konfrontiert.[2]

Gemäß der Legaldefinition der Barrierefreiheit in § 2 Abs. 10 BauO NRW sind bauliche Anlagen, auch Wohnungen, dann barrierefrei, soweit sie für alle Menschen, insbesondere für Menschen mit Behinderungen, in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Die bisherige Regelung in § 49 der Landesbauordnung, wonach sowohl öffentlich zugängliche bauliche Anlagen als auch Wohnungen in Gebäuden der Gebäudeklassen 3 bis 5 nur in einem unklar definierten „erforderlichen Umfang“ barrierefrei sein mussten, stellte aus Sicht des Landesbehindertenrates eine unzulässige Einschränkung dieser Legaldefinition da. Daher begrüßen wir die nunmehr vorgesehene Streichung des unbestimmten Rechtsbegriffs „im erforderlichen Umfang“ ausdrücklich. Die DIN-Normen für barrierefreies Bauen sind in NRW jedoch noch nicht komplett eingeführt wurden, obwohl dies die wesentliche Grundlage für die Schaffung von wirklicher Barrierefreiheit ist.

Auch würde die begrüßenswerte Streichung des „erforderlichen Umfangs“  konterkariert durch die geplante erhebliche Ausweitung möglicher Abweichungen von den Barrierefreiheitsregeln durch weitere beabsichtigte Änderungen in der Landesbauordnung. So soll künftig § 49 generell in die möglichen Abweichungsfälle nach § 69 Abs. 1 Satz 3 einbezogen werden, die zudem um einen weiteren Ausnahmetatbestand ergänzt werden. Höchst problematisch erscheint dies im Fall von Satz 3 Nr. 1, „wenn Gründe des allgemeinen Wohls die Abweichung erfordern“. Nach Satz 5 liegen Gründe des allgemeinen Wohls „insbesondere bei Vorhaben zur Deckung dringenden Wohnbedarfs, bei Vorhaben zur Berücksichtigung der Belange des Klimaschutzes

und der Klimaanpassung oder aus Gründen der Stadtentwicklung“ vor, womit bereits ein Großteil der Bautätigkeit der kommenden Jahrzehnte erfasst sein dürfte. Dem Grunde nach wird hier ein möglicher Zielkonflikt zwischen dem Allgemeinwohl und dem menschenrechtlichen Ziel der Barrierefreiheit unterstellt, obwohl doch allgemein anerkannt sein müsste, dass die Verwirklichung von Menschenrechten unverzichtbarer und grundlegender Teil des Allgemeinwohls ist.

Auch die zusätzliche Möglichkeit zur Abweichung von § 49 zwecks „praktischer Erprobung neuer Bau- und Wohnformen“ findet unseren entschiedenen Widerspruch. Laut Gesetzesbegründung soll diese „Innovationsklausel … Raum für kreative Lösungen für Bauaufgaben bieten“[3]. Eine Errichtung von Barrieren im Zuge der Erprobung neuer Bau- und Wohnformen, wäre jedoch weder kreativ noch innovativ, sondern schlicht diskriminierend.

Wir fordern daher, die gesetzlichen Vorgaben zur Barrierefreiheit gemäß § 49 nicht einzuschränken und auf die oben dargelegten Änderungen in § 69 Abs. 1 zu verzichten.

Der LBR fordert weiter:

  • die DIN-Vorschriften zum barrierefreien Bauen in vollem Umfang in Landesrecht umzusetzen,
  • die o.g. Vorschriften zu streichen bzw. so zu konkretisieren, dass sie nicht zur Einschränkung der Barrierefreiheit führen,
  • Förderangebote für Wohnungsneubau und den barrierefreien Umbau im Bestand massiv auszuweiten.

Düsseldorf, 05.05.2023


[1] MHKBG NRW, Wohnungsmarktgutachten über den quantitativen und qualitativen Wohnungsneubedarf in Nordrhein-Westfalen bis 2040 (Wohnungsmarktprognose 2040), S. 74.

[2] Wohnungsmarktprognose 2040, S. 74.

[3] Vgl. Begründung zu § 69, S. 34.