Hürden im Alltag für Menschen mit Behinderung abbauen – Landesbehindertenrat zu Gast im Landtag

„Die politische Weichenstellung der Themen Bauen, Wohnen und inklusive Bildung hat große Wirkung auf ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderung.“ Peter Gabor, der Vorsitzende des Landesbehindertenrates (LBR NRW) machte im Landtag deutlich, warum diese Themen hohe Priorität haben.

Inklusive Bildung in NRW: Artikel 24 UN-BRK umsetzen – ein inklusives Bildungssystem als Regelschulsystem aufbauen

In seiner Analyse zur Umsetzung des inklusiven Unterrichts vom April 2023 kommt das Deutsche Institut für Inklusion und Menschenrechte (DIMR) zu der Einschätzung, dass jungen Menschen ihr Potential nicht voll entfalten können, wenn ihnen der Zugang zu hochwertiger Bildung verweigert wird. Die Folgen seien u.a. weniger Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, keine wirtschaftliche Unabhängigkeit und Armut. Die Forschung habe gezeigt, dass diese Folgen in gesteigertem Maße für Menschen mit Behinderungen gelten, denen das Recht auf inklusive Bildung an einer allgemeinbildenden Schule verwehrt werde. Das sei faktisch für viele Schüler*innen in Deutschland der Fall, die in Förderschulen unterrichtet würden.

14 Jahre nach Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention ist die Umsetzung des inklusiven Unterrichts, abgesehen von Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein, in Deutschland kaum vorangekommen, und es gibt Prognosen, dass die Exklusionsquoten bis zum Jahr 2030 stagnieren werden.

Im Aktionsplan NRW inklusiv 2022 ist zwar die inklusive Bildung erwähnt und als Zielplanung angegeben, aber es sind weder konkrete Maßnahmen noch ein Zeitplan der Umsetzung angegeben.

Dies kritisieren auch die Behindertenbeauftragten auf ihrer Tagung in Düsseldorf am 9. Dezember 2022 und fassen ihre Forderungen im Forderungspapier der Behindertenbeauftragten des Bundes und der Länder zur inklusiven schulischen Bildung zusammen.

Die Monitoringstelle als Kontrollinstanz zur Umsetzung der UN-BRK kritisiert zum wiederholten Male die mangelhafte Umsetzung einer inklusiven Bildung und weist daraufhin, dass „falsche Weichenstellungen“ gesetzt worden sind. Sie empfiehlt unter anderem folgendes:

  • Änderung des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes und Aufhebung des Haushaltsvorbehalts bezüglich des Rechtsanspruchs auf inklusive Beschulung
  • Umschichtung personeller und finanzieller Ressourcen von den Förderschulen zu inklusiven Schulen;
  • Unterstützung der Kommunen, um die Voraussetzungen für ein inklusives Bildungssystem zu schaffen;
  • Einbeziehung der bimodalen und bilingualen Beschulung von gehörlosen und hochgradig schwerhörigen Schüler*innen in allgemeinbildenden Schulen in ein inklusives Gesamtkonzept…

Eine Förderung von Kindern mit Beeinträchtigungen ist in der Regelschule möglich, wenn die Klassengröße grundsätzlich verringert wird und ständig zwei Lehrpersonen anwesend sind, die auf die besonderen Bedarfe aller Kinder zeitnah und bedarfsgerecht eingehen. 

Wir unterstützen die Forderung von Klaus Klemm in seiner Expertise Bildungspolitische Strategien inklusiver Bildung in Deutschland, März 2020, das Elternwahlrecht zu Gunsten von Förderschulen aufzuheben, obwohl wir wissen, dass Eltern die Förderschulen als Ganztagsschulen mit ihren therapeutischen Angeboten schätzen.

Bis zum Aufbau eines umfassenden inklusiven Regelschulsystems sollten die bestehenden Förderschulen für Kinder ohne Beeinträchtigungen geöffnet werden. 

Die ungleiche Entlohnung von pädagogischem Personal in den Förderschulen und Regelschulen ist aufzuheben.

Aktuell stehen wir vor der Situation, dass die Umsetzung der UN-BRK in Kindertageseinrichtungen vermehrt geschieht, im Primarbereich lediglich auf Antrag der Erziehungsberechtigten und im Sekundarbereich sowie in Berufsbildenden Schulen / Ausbildung äußerst selten.

Der Zugang zu Bildung ist eine wesentliche Bedingung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – im Sinne eines lebenslangen Lernens dient Bildung der Entfaltung der Persönlichkeit und der Weiterentwicklung von Kompetenzen bis ins hohe Alter. Lebenslange Bildung ist daher gesetzlich in Art. 24 der UN-BRK verankert. Erwachsene Menschen mit Behinderungen und insbesondere Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf haben bisher jedoch wenig Möglichkeiten, über die gesamte Lebensspanne Bildungsangebote wahrzunehmen. 

Im Kontext der weiterführenden bzw. außerschulischen Bildung im Aktionsplan NRW sind keine Maßnahmen für Erwachsene mit hohem Unterstützungsbedarf geplant. Einer Bildungsverpflichtung zur inklusiven Erwachsenenbildung, wie auf S. 57 des Aktionsplans benannt, kommt die Landesregierung somit nicht nach.

Wir fordern daher:

Die Teilnahme an Bildungsveranstaltungen muss Menschen mit Behinderungen im §2 Abs. 6 Weiterbildungsgesetz (WBG NRW) uneingeschränkt zugesichert werden und darf nicht an finanziellen und baulichen/technischen Barrieren scheitern.

Menschen mit Beeinträchtigungen müssen in die inklusive Erwachsenenbildung einbezogen und als Lehrende qualifiziert werden.

Die Teilnahme an Bildungsveranstaltungen muss Menschen mit Behinderungen im §2 Abs. 6 Weiterbildungsgesetz (WBG NRW) uneingeschränkt zugesichert werden.

Der Aktionsplan NRW inklusiv hält gute Angebote zur Aufnahme einer Tätigkeit oder Arbeit bereit (Budget für Arbeit, Modifizierte Ausbildungsgänge, Hilfsmittelpools…). Wir hoffen, dass die neuen gesetzlichen Regelungen der Bundesregierung zum „Inklusiven Arbeitsmarkt“ (März 2023) die bestehenden Angebote noch verbessert, da jede Bildung in eine bezahlte, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung einmünden soll. Selbstbestimmte Teilhabe ist ohne finanzielle Absicherung nicht möglich.

Last but not least sei auf die fehlende Teilhabeunterstützung von chronisch kranken Schüler*innen hingewiesen. Die durch deren Krankheit bedingten häufigen Unterrichtsausfälle werden nicht institutionell kompensiert, stellen eine starke psychische Belastung für die Betroffenen dar und führen oft zu Klassenwiederholungen. Hier ist großer Handlungsbedarf!

Düsseldorf, 05.05.2023

Forderungen des Landesbehindertenrates NRW e.V. zur Novellierung der BauO NRW

Für die freie Wahl des Wohnortes und der Wohnform für Menschen mit Behinderung sind bezahlbare, barrierefreie Wohnungen in ausreichender Zahl unerlässlich. Laut Teilhabebericht der Landesregierung bewerten lediglich 18% der erwachsenen Menschen mit Beeinträchtigungen in NRW ihre Wohnung bzw. ihr Haus als „altengerecht, barrierefrei“. Nach Berechnungen der Wohnungsmarktprognose bis 2040 fehlen derzeit in NRW rund 438.000 barrierefreie Wohnungen – und zusätzlich müssen bis 2040 672.320 weitere altersgerechte Wohnungen neu entstehen, um den Bedarf zu decken.[1] Weiter heißt es in dem Bericht: „Die Herausforderung, altersgerechten Wohnraum bereitzustellen, betrifft grundsätzlich alle Regionen in Nordrhein-Westfalen, denn alle Kreise und kreisfreien Städte sind mit einer steigenden Zahl an Haushalten mit älteren Menschen konfrontiert.[2]

Gemäß der Legaldefinition der Barrierefreiheit in § 2 Abs. 10 BauO NRW sind bauliche Anlagen, auch Wohnungen, dann barrierefrei, soweit sie für alle Menschen, insbesondere für Menschen mit Behinderungen, in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Die bisherige Regelung in § 49 der Landesbauordnung, wonach sowohl öffentlich zugängliche bauliche Anlagen als auch Wohnungen in Gebäuden der Gebäudeklassen 3 bis 5 nur in einem unklar definierten „erforderlichen Umfang“ barrierefrei sein mussten, stellte aus Sicht des Landesbehindertenrates eine unzulässige Einschränkung dieser Legaldefinition da. Daher begrüßen wir die nunmehr vorgesehene Streichung des unbestimmten Rechtsbegriffs „im erforderlichen Umfang“ ausdrücklich. Die DIN-Normen für barrierefreies Bauen sind in NRW jedoch noch nicht komplett eingeführt wurden, obwohl dies die wesentliche Grundlage für die Schaffung von wirklicher Barrierefreiheit ist.

Auch würde die begrüßenswerte Streichung des „erforderlichen Umfangs“  konterkariert durch die geplante erhebliche Ausweitung möglicher Abweichungen von den Barrierefreiheitsregeln durch weitere beabsichtigte Änderungen in der Landesbauordnung. So soll künftig § 49 generell in die möglichen Abweichungsfälle nach § 69 Abs. 1 Satz 3 einbezogen werden, die zudem um einen weiteren Ausnahmetatbestand ergänzt werden. Höchst problematisch erscheint dies im Fall von Satz 3 Nr. 1, „wenn Gründe des allgemeinen Wohls die Abweichung erfordern“. Nach Satz 5 liegen Gründe des allgemeinen Wohls „insbesondere bei Vorhaben zur Deckung dringenden Wohnbedarfs, bei Vorhaben zur Berücksichtigung der Belange des Klimaschutzes

und der Klimaanpassung oder aus Gründen der Stadtentwicklung“ vor, womit bereits ein Großteil der Bautätigkeit der kommenden Jahrzehnte erfasst sein dürfte. Dem Grunde nach wird hier ein möglicher Zielkonflikt zwischen dem Allgemeinwohl und dem menschenrechtlichen Ziel der Barrierefreiheit unterstellt, obwohl doch allgemein anerkannt sein müsste, dass die Verwirklichung von Menschenrechten unverzichtbarer und grundlegender Teil des Allgemeinwohls ist.

Auch die zusätzliche Möglichkeit zur Abweichung von § 49 zwecks „praktischer Erprobung neuer Bau- und Wohnformen“ findet unseren entschiedenen Widerspruch. Laut Gesetzesbegründung soll diese „Innovationsklausel … Raum für kreative Lösungen für Bauaufgaben bieten“[3]. Eine Errichtung von Barrieren im Zuge der Erprobung neuer Bau- und Wohnformen, wäre jedoch weder kreativ noch innovativ, sondern schlicht diskriminierend.

Wir fordern daher, die gesetzlichen Vorgaben zur Barrierefreiheit gemäß § 49 nicht einzuschränken und auf die oben dargelegten Änderungen in § 69 Abs. 1 zu verzichten.

Der LBR fordert weiter:

  • die DIN-Vorschriften zum barrierefreien Bauen in vollem Umfang in Landesrecht umzusetzen,
  • die o.g. Vorschriften zu streichen bzw. so zu konkretisieren, dass sie nicht zur Einschränkung der Barrierefreiheit führen,
  • Förderangebote für Wohnungsneubau und den barrierefreien Umbau im Bestand massiv auszuweiten.

Düsseldorf, 05.05.2023


[1] MHKBG NRW, Wohnungsmarktgutachten über den quantitativen und qualitativen Wohnungsneubedarf in Nordrhein-Westfalen bis 2040 (Wohnungsmarktprognose 2040), S. 74.

[2] Wohnungsmarktprognose 2040, S. 74.

[3] Vgl. Begründung zu § 69, S. 34.

Der LBR lädt zum „Parlamentarischen Frühstück“ ein

Zum „Europäischen Tag der Menschen mit Behinderung“ lädt der LBR am 5. Mai zum „Parlamentarischen Frühstück“ ein. Die Abgeordneten des Landtags sind eingeladen, mit den Mitgliedern des Landesbehindertenrates zu diskutieren. Es gibt zahlreiche wichtige Themen, an diesem Tag sollen jedoch als Schwerpunkte die Themen „Bauen + Wohnen“ sowie „Schulische Bildung“ im Mittelpunkt stehen. In der Wandelhalle des Landtags in Düsseldorf werden sich die Mitgliedsverbände des LBR präsentieren, die Parlamentarier sind auch hier eingeladen, an den Ständen der Mitglieder ins Gespräch zu kommen.