Betrachtung des aktuell in Nordrhein-Westfalen durchgeführten Gesamtplanverfahrens aus der Sicht der leistungsberechtigten Personen und der Selbsthilfe

Die UN-Behindertenrechtskonvention wird in der Bundesrepublik Deutschland wesentlich durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) vom 23. Dezember 2016 umgesetzt. Das Ziel ist die Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Das BTHG stellt den Menschen mit Behinderung und seinen Willen in den Mittel- und Ausgangspunkt des Geschehens (§ 8
SGB IX), indem es eine (individuelle) Bedarfs- und Bedürfnisorientierung und eine partizipative Entwicklung von personenorientierten Unterstützungsarrangements vorschreibt.

Unsere Vorstellung vom Ablauf des Gesamtplanverfahrens haben wir im Papier „Das Gesamtplanverfahren in Nordrhein-Westfalen aus Sicht der Selbsthilfe“ dargestellt. Auf dieser Grundlage betrachten wir nun die aktuelle Situation in NRW.

Im § 117 SGB IX benennt der Gesetzgeber das Gesamtplanverfahren als einen Verfahrensprozess zur Ermittlung, Feststellung und Sicherstellung von Bedarfen und Wünschen und dazugehörigen personenorientierten Leistungen. Kernelement des Gesamtplanverfahrens ist die partizipative und diskursive Ausgestaltung des Verfahrens, gemeinsam mit den leistungsberechtigten Personen. Das Bedarfsermittlungsinstrument (BEI_NRW) stellt in NRW das zentrale Verfahrensinstrument zur Ermittlung der Bedarfe der leistungsberechtigten Personen dar und soll die gesetzliche Vorgabe entsprechend umsetzen. In Nordrhein-Westfalen sind nach § 1 AG-SGB IX NRW die beiden Landschaftsverbände die für die Durchführung zuständigen Leistungsträger. Seit der Einführung des Gesamtplanverfahrens und des BEI_NRW verfolgt die Selbsthilfe die Anwendung in der Praxis aus unterschiedlichen Perspektiven und Ebenen und zwar:

  • als unmittelbar Beratende der leistungsberechtigten Personen und ihrer Angehörigen,
  • als berufene Vertrauenspersonen im Gesamtplanverfahren,
  • als Dachverbände vielfältiger regionaler Selbsthilfegruppen und Mitgliedsvereine,
  • als Mitglieder und Vertreter*innen der Selbsthilfe in landesweiten Gremien und Beiräten, die sich mittel und unmittelbar mit der Implementierung des BTHG beschäftigen.

In der aktuellen Praxis kommt den leistungsberechtigten Personen die ihnen gesetzlich zugeschriebene, prägende Position nicht zu. Als Kernelemente des BTHG stehen die leistungsberechtigten Personen mit ihren individuellen Rechtsansprüchen im Mittelpunkt des Gesamtplanverfahrens, und zwar sowohl hinsichtlich der Leistungsbewilligung als auch hinsichtlich der Leistungsausführung. Wir beobachten statt einer personenorientierten Verfahrenspraxis und einer Leistungserbringung nach inklusiven Handlungskriterien ein Verbleiben und Festhalten an eingesessenen Strukturen und Dienstleistungssphären.
Wir sehen das übergeordnete Ziel des BTHGs, den leistungsberechtigten Personen mehr Teilhabe und Selbstbestimmung zu ermöglichen, in erheblicher Gefahr.

Wir begründen diese Position im Einzelnen durch folgende Aspekte und formulieren konkrete Handlungsbedarfe zu diesen:

Punkt 1: Mangelnde Information, Beratung und Aufklärung der leistungsberechtigten Personen

Im Vorfeld des Verfahrens haben die leistungsberechtigten Personen einen Anspruch auf Information und Beratung. Sie müssen ihre Rechte und Möglichkeiten kennen, um auf dieser Grundlage ihr eigenes Leben planen und gestalten zu können. Beratung und Unterstützung sind demnach von hoher Bedeutung. Die Landschaftsverbände sind nach § 106 SGB IX zur
umfassenden und kostenfreien Beratung und Unterstützung verpflichtet. Daneben gibt es weitere Beratungsmöglichkeiten, über die die leistungsberechtigten Personen zu informieren sind (vgl. § 106 Absatz 4, §12 Absatz 1 SGB IX).

Aus Sicht der Selbsthilfekommen die Landschaftsverbände dieser rechtlich vorgeschriebenen Aufgabe an verschiedenen Stellen nicht nach. Für Leistungsberechtigte und ihre Angehörigen entstehen erhebliche Informations- und Beratungslücken in Bezug auf die Aufklärung zum Wunsch- und Wahlrecht, zum Datenschutz, dem Vorgang des Gesamtplanverfahrens und den Hinweis auf weitere Beratungsmöglichkeiten. Ebenfalls fehlt es an durchgängig barrierefreien Informationen in digitaler und Papierform. Dieser Missstand betrifft das Gesamtplanverfahren von der Erstbedarfsermittlung bis zur Fortschreibung.

Die Selbsthilfe hat mehrmals auf diesen Umstand durch Stellungsnahmen und im Rahmen der Gremienarbeit hingewiesen1. Die Landschaftsverbände haben sich bereit erklärt, die von der Selbsthilfe genannten Punkte abzuarbeiten2. Dies ist bis heute nicht erfolgt.

Wir fordern daher weiterhin die sofortige Verbesserung der Informations- und Beratungspraxis und die unmittelbare Umsetzung des § 106 SGB IX. Dazu gehört:

  • die Erstellung und Bereitstellung barrierefreier Informationsmaterialien zum Gesamtplanverfahren in digitaler Form (Website) und Papierform,
  • die Aufklärung der leistungsberechtigten Personen und Angehörigen/Vertrauenspersonen über ihre Rechte und Pflichten im Rahmen des Gesamtplanverfahrens und des Datenschutzes in einer den leistungsberechtigten Personen zugänglichen und verständlichen Art,
  • die Aufklärung der leistungsberechtigten Personen und Angehörigen/Vertrauenspersonen über Beratungs-, Beschwerde- und Widerspruchsmöglichkeiten in einer den leistungsberechtigten Personen zugänglichen und verständlichen Art,
  • die grundlegende Information der leistungsberechtigten Personen über ihre weiteren Gestaltungsmöglichkeiten durch umfassende Beratung oder direkte Ansprache des Fallmanagements,
  • die Bereitstellung barrierefreier Antragsformulare in digitaler und Papierform,
  • die vorzeitige und einheitliche Information der leistungsberechtigten Person über notwendige Unterlagen, die zur Bearbeitung des Antrages zusätzlich notwendig sind.

Zur „Barrierefreiheit“ verweisen wir auf KSL-Broschüre Nummer 63.

Punkt 2: Unzureichende Beteiligung der leistungsberechtigten Personen an der Erstbedarfs- und Bedürfnisermittlung

Das BEI_NRW gibt eine Struktur zur Dokumentation des individuellen Bedarfes vor. Der Abschnitt „persönliche Sicht“ dient den leistungsberechtigten Personen dazu, dass sie beschreiben können, wie sie die derzeitige Situation bewerten und welche Wünsche sie haben (Wunsch- und Wahlrecht). Der Abschnitt „persönliche Sicht“ soll ausschließlich von den leistungsberechtigten Personen ausgefüllt werden.

Auch wenn der Einbezug der leistungsberechtigten Personen durch das Dokument „Persönliche Sicht“ formal in das Verfahren der Bedarfsermittlung implementiert ist und weitere fachliche Hinweise4 dessen Anwendung unterstützen sollen, so garantiert dies in der Praxis keine gelebte Beteiligung der leistungsberechtigten Personen.

Vor allem mit Menschen mit geistiger und komplexer Behinderung ist eine partizipativ und diskursiv gestaltete Bedarfsermittlung eine Herausforderung. Diese Schwierigkeiten können sich aufgrund der (eingeschränkten) Kommunikationsfähigkeit, der Einflussnahme von Begleitpersonen/Betreuenden/Leistungserbringern, der Kürze der Zeit bei
der Bedarfsermittlung und der fehlenden Sensibilisierung der leistungsberechtigten Personen zur Äußerung von Wünschen ergeben. Die entwickelten Materialien wie das Formular „Persönliche Sicht in Einfacher Sprache“5 sind als Hilfsmittel in diesen Fällen unzureichend.

Aus Sicht der Selbsthilfe gibt es erhebliche Unterschiede in der partizipativen Erhebung des Bedarfes. Wir erkennen in Einzelfällen allenfalls ein Interviewformat und es ist deshalb unklar, auf welche Art das dialogische Verfahren in der Praxis umgesetzt wird. Ebenfalls sind keine (Qualitäts-)Kriterien zur (heilpädagogischen) Begleitung der leistungsberechtigten Personen im Rahmen des Gesamtplanverfahrens formuliert.6

Bereits vorhandene Handlungsempfehlungen und Erkenntnisse zur partizipativen Gestaltung der Bedarfserhebung7 werden seitens der Leistungsträger nicht kommuniziert. Es ist unklar, ob sie seitens der bedarfserhebenden Partei eingesetzt werden. Diese Situation führt zu einer uneinheitlichen Anwendung des BEI_NRW und erschwert die Bewertung dessen, ob eine Bedarfsermittlung personen- und teilhabeorientiert erfolgt ist oder nicht.

Nach unseren Erfahrungen vollzieht sich die Bedarfsermittlung in vielen Fällen unzureichend bis gar nicht unter Beteiligung der leistungsberechtigten Personen. Die Anwendung des BEI_NRW ist gesetzliche Aufgabe der Landschaftsverbände, allerdings geben sie diese Aufgabe zum Teil von vorneherein, zum Teil später an die Leistungserbringer ab. Dieses Vorgehen bringt auch für die Leistungserbringer zum Beispiel Probleme im Rahmen des Datenschutzes mit sich.

Wir sehen in dieser Handhabung eine Verschiebung der Verantwortung für die partizipative Gestaltung des Verfahrens auf die individuelle Ebene bzw. des jeweiligen Leistungserbringers. Dies nehmen wir als problematisch wahr, auch weil der leistungsberechtigten Person keine Möglichkeiten geboten wird, dass BEI-NRW während der Erstellung einzusehen. Hinzu
kommt, dass es im Kreis der leistungsberechtigten Personen Personengruppen gibt, die in einem erheblichen Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Unterstützer*innenkreis und den Rahmenbedingungen leben, die die Leistungserbringer im großen Umfang mitgestalten.

Im Übrigen ist die Zufriedenheit der leistungsberechtigten Personen ein maßgebliches Kriterium, anhand dessen die Leistungsträger die Wirksamkeit der Eingliederungshilfeleistungen überprüfen kann8. Eine umfassende Beteiligung der leistungsberechtigten Personen am Gesamtplanverfahren liegt somit auch im Interesse der Leistungsträger.

Auf Basis der genannten Problemlagen fordern wir von allen an der Bedarfsermittlung beteiligten Parteien eine Bedarfsermittlungspraxis, die die leistungsberechtigte Person in den Mittelpunkt stellt und den Schwerpunkt auf Teilhabe und Personenorientierung legt und nicht auf die Umsetzung und Dokumentation eines vorgegebenen Verfahrensablaufs.
Dies bedeutet einen erhöhten Kommunikationsaufwand für alle Beteiligten, der jedoch notwendig ist, da Partizipation und Teilhabe nur über barrierefreie Kommunikation gestaltet werden können.9

Für die Umsetzung sehen wir folgende Aspekte als notwendig an:

  • Bildungsangebote (z. B. persönliche Zukunftsplanung) für leistungsberechtigte Personen, die zur Entwicklung von Wünschen und der Sensibilisierung zum Äußern von Bedarfen beitragen, als fester Bestandteil des Dienstleistungsangebotes,
  • die Bewilligung und Finanzierung der o.g. Bildungsangebote seitens der Leistungsträger,
  • die Qualifikation der am Gesamtplanverfahren Mitarbeitenden in Bezug auf besondere Bedarfe, Bedürfnisse und Lebenssituationen, die unter Umständen mit Behinderungen einhergehen,
  • Hinweis auf die Möglichkeit einer Assistenz zur Lebensplanung, §78 Absatz 1 Satz 2 SGB IX, die die leistungsberechtigten Personen gerade bei der Formulierung der persönlichen Wünsche und Ziele, die unmittelbarer Bestandteil der Lebensplanung sind, unterstützen können,
  • Formulierung von für alle Beteiligten bindenden (Qualitäts-) Kriterien für eine teilhabe- und personenorientierte 8
    Bedarfsermittlung (z. B. persönlicher Kontakt und das Kennenlernen des Umfeldes)

Punkt 3: Auskoppelung der Beteiligung der leistungsberechtigten Personen im Rahmen der Fortschreibung

Für die Durchführung der Fortschreibung, in der es um die Bewertung und Wirkungskontrolle von Leistungsangeboten in Bezug auf die Wünsche, Bedarfe und Ziele der leistungsberechtigten Personen geht, sind die Leistungsanbieter federführend, vgl. LRV A 7.2. Nach der Verfahrensauslegung des LWL10, der LVR bietet hierzu keine öffentlichen Informationen, liegt es in der Verantwortung der Leistungserbringer, die leistungsberechtigten Personen über den Beginn der Fortschreibung zu informieren und diese mit ihnen durchzuführen. Eine Überprüfung über eine tatsächliche Beteiligung der leistungsberechtigten Personen an dem Prozess der Fortschreibung seitens der Leistungsträger oder einer anderen
Institution ist nicht vorgesehen. Zu einem gemeinsamen Gespräch mit allen beteiligten Akteur*innen wird seitens der Leistungsträger nur bei Auffälligkeiten in der Dokumentation geladen.

Dieser für die leistungsberechtigten Personen sensible Vorgang, in dem die leistungsberechtigten Personen ihr Wunsch- und Wahlrecht durch Evaluation und Nachjustierung des Angebotes erneut ausüben können, wird gänzlich in die Verantwortung derjenigen gelegt, die die zu überprüfenden Dienstleistungen anbieten. Erscheint die Einbindung der leistungsberechtigten Personen in der Erstbedarfsermittlung schon unzureichend, so besteht im Rahmen der Fortschreibung endgültig das
Risiko der Nichtbeteiligung der leistungsberechtigten Personen. Das Vertrauen auf eine partizipativ durchgeführte Wirkungs- und Qualitätskontrolle, das den Leistungserbringern hiermit indirekt ausgesprochen wird, ist in vielen Fällen sicherlich gerechtfertigt. Und dabei kommt es auch zu einer tatsächlichen Evaluation der getätigten Leistungserbringung auf Basis individueller Wünsche und Bedarfe der leistungsberechtigten Personen. Allerdings birgt diese Art der Fortschreibung unverkennbar die Gefahr einer willkürlichen Handhabung bis hin zu einer Beeinflussung des Fortschreibungsergebnisses im Sinne der Interessen der jeweiligen Leistungserbringers.

Für die Stärkung einer unabhängigen Position der leistungsberechtigten Personen im Rahmen der Fortschreibung fordern wir daher:

  • Die direkte Information, Beratung und Aufklärung der leistungsberechtigten Personen über den Zeitpunkt der Fortschreibung sowie die Inhalte und Ziele, in einer für die Leistungsberechtigte Personen verständlichen Form seitens der Leistungsträger.
  • Die direkte Information und Aufklärung der leistungsberechtigten Personen über ihr Wunsch- und Wahlrecht im Rahmen der Fortschreibung und über Beschwerdemöglichkeiten seitens der Leistungsträger.

Punkt 4: Verletzung der Persönlichkeitsrechte aufgrund unzureichenden Datenschutzes

Die Selbsthilfe hat wiederholt auf Missstände in der Datenerhebung und -verarbeitung im Rahmen der Anwendung der Software PerSeh seitens des LVR hingewiesen11. Die Problemlagen sind bekannt und wurden seitens der Leistungsanbieter12 und seitens der Selbsthilfe13 wiederholt thematisiert. Bisher gibt es jedoch keine weitläufigen Änderungen seitens der Leistungsträger.

Wir unterstützen die folgenden Verbesserungshinweise der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit in NRW (LDI) und regen deren Umsetzung an:

  • Datenschutzhinweise und Einwilligungserklärungen müssen als Muster zur Verfügung gestellt und zum Download in PerSEH eingestellt werden.
  • Kriterien für eine gemeinsame, notwendige Datenerfassung über verschiedene Lebensbereiche hinaus, müssen erarbeitet werden.
  • Technische Lösungen für eine selektive Weitergabe von Daten an „Dritte“ in PerSeh müssen erarbeitet werden.

Punkt 5: Mangelnde Transparenz gegenüber den leistungsberechtigten Personen über Leistungsbewilligung

Die Diskussion der festgestellten Bedarfe und wie diese gedeckt werden sollen, ist Kern der Gesamtplankonferenz. Die Durchführung der Gesamtplankonferenz kann von den leistungsberechtigen Personen oder den beteiligten Rehabilitationsträgern vorgeschlagen werden. Der Eingliederungshilfeträger kann gemäß § 119 Absatz 1 Satz 3 SGB IX die
Durchführung einer Konferenz allerdings ablehnen, wenn der Sachverhalt schriftlich zu ermitteln ist oder der Aufwand zur Durchführung nicht in einem angemessenen Verhältnis zum Umfang der begehrten Leistung steht. Die Ergebnisse werden Bestandteil des zu erstellenden Gesamtplans. Dieser ist dann die Grundlage des Bewilligungsbescheides, der am Ende des Gesamtplanverfahrens steht.

Wir nehmen wahr, dass es kaum zur Durchführung von Gesamtplankonferenzen kommt. Für die leistungsberechtigten Personen ist der Wegfall einer Gesamtplankonferenz die Beschneidung einer weiteren Möglichkeit der Einflussnahme auf eine personenorientierte Leistungserbringung. Deshalb fehlen den leistungsberechtigten Personen relevante Erläuterungen zur Leistungsbewilligung. Diese Informationen werden auch im Rahmen des Gesamtplans nur bedingt zur Verfügung
gestellt. Die mangelnde Transparenz erschwert für die leistungsberechtigten Personen den Nachvollzug der Leistungsbewilligung bzw. -ablehnung und somit die Argumentation für einen möglichen Widerspruch.

Die Selbsthilfe weist daher auf die Notwendigkeit hin, nur in Ausnahmefällen auf die Ausrichtung einer Gesamtplankonferenz zu verzichten, den Ausfall zu begründen und den Ausfall der Gesamtplankonferenz nicht zum Regelvorgang zu machen.

In diesem Kontext fordern wir insbesondere:

  • Eine vorzeitige Information der leistungsberechtigten Personen über Inhalt und Zweck der Gesamtplankonferenz, in einer für die leistungsberechtigten Personen verständlichen Form.
  • Eine vorzeitige Aufklärung der leistungsberechtigten Personen über ihr Recht, eine Gesamtplankonferenz vorzuschlagen.
  • Eine vorzeitige Information der leistungsberechtigten Personen über den Verzicht auf eine Gesamtplankonferenz und eine Begründung der Absage.

Auch weisen wir darauf hin, dass eine zentrale Funktion des Gesamtplans ist, das Vorgehen der Eingliederungshilfe transparent zu machen. In Bezug darauf, rufen wir die Träger der Eingliederungshilfe auf:

  • den Gesamtplan zeitnah nach Abschluss des Verfahrens den Leistungsberechtigte Personen zur Verfügung zu stellen, wie in §121 Absatz 5 SGB IX vorgeschrieben,
  • die Kriterien, nach denen die Leistungsbewilligung bzw. -ablehnung erfolgt, den leistungsberechtigten Personen in einer für sie verständlichen Form darzustellen. Das Verfahren um die Antragsstellung ist in jeglicher Hinsicht barrierefrei zu gestalten.

Mittragende der gemeinsamen Forderung aus Perspektive der Selbsthilfe:


1 siehe Forderungen zur Anwendung des Bedarfsermittlungsinstrument Nordrhein-Westfalen (BEI_NRW) aus der Perspektive der Selbsthilfe

2 Protokoll der AG Eingliederungshilfe vom 04. November 2021

3 https://www.ksl-nrw.de/de/node/5156

4 Informationsmaterialien und fachliche Hinweise zum Gesamtplanverfahren und dessen Umsetzung einzusehen unter: https://www.lwl-inklusionsamt-soziale-teilhabe.de/de/hilfe-planen/bei_nrw/materialien/ und https://www.lvr.de/de/nav_main/soziales_1/menschenmitbehinderung/antraege_und_verfahren/hilfeplanverfahren_2/hilfeplan_1.jsp#section-638877

5 Einzusehen unter: https://www.lwl.org/spur-download/BEI_NRW/final_persoenliche_Sicht.pdf

6 Orientierung an BAGüS-Papier „Orientierungshilfe zur Durchführung von Prüfungen der Wirtschaftlichkeit und Qualität einschließlich der Wirksamkeit nach § 128 SGB IX“, https://www.lwl.org/spur-download/bag/Orientierungshilfe_Wirtschaftlichkeitspruefungen.pdf

7 siehe Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gesamtplanung in der Eingliederungshilfe und ihr Verhältnis zur Teilhabeplanung, DV 01/19, verabschiedet am 18. Juni 2019,

8 insbesondere für die Ergebnisqualität, vgl. Landesrahmenvertrag NRW A 7.2.3 und im Einzelnen die Eckpunkte des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. zu Wirkung und Wirksamkeit in der Eingliederungshilfe, https://www.deutscher-verein.de/de/uploads/empfehlungen-stellungnahmen/2022/dv-26-20_eckpunkte-wirksamkeit-in-der-eingliederungshilfe.pdf (abgerufen 30.01.2023)

9 BT-Drucksache 20/5150 „Bericht zum Stand und zu den Ergebnissen der Maßnahmen nach Artikel 25 Absatz 2 bis 4 des Bundesteilhabe-Gesetzes“, Anlage 3, „Wissenschaftliche Untersuchung der modellhaften Erprobung der Verfahren und Leistungen nach Artikel 1 Teil 2 des Bundesteilhabegesetzes vom 29. Dezember 2016 einschließlich ihrer Bezüge zu anderen Leistungen der sozialen Sicherung“ Kienbaum Consultants International GmbH, 4.4.2.1 Praxis der Erhebung, Prüfung und Gewährung von Wünschen

10 Siehe auch: Flussdiagramm Gesamtprozess Fortschreibung unter https://www.lwl-inklusionsamt-soziale-teilhabe.de/de/hilfe-planen/bei_nrw/fortschreibung/

11 siehe Forderungen zur Anwendung des Bedarfsermittlungsinstrument Nordrhein-Westfalen (BEI_NRW) aus der Perspektive der Selbsthilfe, AG Eingliederungshilfe, Sitzung am 04. November 2021

12 Freie Wohlfahrtspflege NRW: Zwischenbericht zum Bedarfsermittlungsverfahren des überörtlichen Eingliederungshilfeträgers im Rheinland; hier: Gefährdung der Persönlichkeitsrechte von Menschen mit Behinderung durch Datenschutzverletzungen. Stand: 29.04.2022 und Freie Wohlfahrtspflege NRW: Zweiter Zwischenbericht zum Bedarfsermittlungsverfahren des Eingliederungshilfeträgers im Rheinland – Weitere Umsetzung. Stand: 14.11.2022

13 Protokoll (nicht verabschiedet): Dialog der Selbsthilfe und der Landschaftsverbände zum BEI_NRW bzw. BEI_NRW KiJu, Videokonferenzen am 7. März und 13. April 2022

Das Gesamtplanverfahrenin Nordrhein-Westfalen aus Sicht der Selbsthilfe

Grundlagen und Ziele des Gesamtplanverfahrens

Die UN-Behindertenrechtskonvention wird in der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) vom 23. Dezember 2016 umgesetzt. Das Ziel ist die Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Dazu kommt es bei den Leistungen der Eingliederungshilfe zur Abkehr von einer pauschalen Leistungserbringung hin zu einer personenzentrierten Leistungserbringung. Aus der Begründung des BTHG ergibt sich, dass

„der Gesamtplanung (…) im Kontext personenzentrierter Leistungsgewährung und -erbringung eine Schlüsselfunktion zu (kommt). Sie ist die Grundlage für die Sicherstellung einer bedarfsdeckenden Leistungserbringung. Die Regelungen (…)
normieren die für die besonderen Leistungen zur selbstbestimmten Lebensführung für Menschen mit Behinderungen notwendigen Spezifika.“

Die Ermittlung, Feststellung und Sicherstellung dieser personenzentrierten Leistung ist Kern des Gesamtplanverfahrens. Die Gesamtplanung nach §117 SGB IX ist die wesentliche Voraussetzung dafür, die Leistungen so auszugestalten, dass eine volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe möglich ist. Die Ermittlung und Feststellung der Teilhabebedarfe orientiert
sich an den neun Lebensbereichen nach ICF1 . Diese Systematik beschreibt eine nicht nur vorübergehenden Beeinträchtigung der Aktivität und Teilhabe in den neun Lebensbereichen. Die Bedarfsermittlung der Gesamtplanung ist explizit als diskursiver Prozess angelegt und nicht als Interview, bei dem das Teilhabeinstrumentarium sukzessive abgearbeitet wird. An dem Prozess sind die nachfragende Person, ihre*seine Begleiter*innen (z. B. Angehörige, andere Vertrauenspersonen, die gesetzliche Betreuung, Beschäftigte der Leistungserbringer) und das Fallmanagement des Leistungsträgers beteiligt, § 121 Absatz 3 SGB IX.

Die Ausrichtung auf die personenzentrierte Leistungserbringung stellt noch deutlicher als in der Vergangenheit den individuellen Rechtsanspruch der leistungsberechtigten Person heraus. Das Gesamtplanverfahren stärkt ihre
Verfahrensrechte und ihre Position sowohl gegenüber dem Leistungsträger als auch gegenüber dem Leistungserbringer. Hierzu gehört gerade auch, dass das Wunsch- und Wahlrecht der leistungsberechtigten Person, § 8SGB IX, berücksichtigt wird.

Nach § 117 SGB IX ist ein Gesamtplanverfahren immer durchzuführen, wenn Leistungen der Eingliederungshilfe in Betracht kommen. Dabei spielt es keine Rolle, welche Teilhabeleistung begehrt wird. In Nordrhein-Westfalen sind die beiden Landschaftsverbände die zuständigen Leistungsträger, § 1 AG-SGB IX NRW, § 94 Abs. 1 SGB IX.

Die Gesamtplanung soll laut Gesetzesbegründung unter ganzheitlicher Perspektive erfolgen und sich ausschließlich am individuellen Bedarf und den persönlichen Lebensvorstellungen ausrichten. Dazu gehören auch gesundheitsbezogene Bedarfe, die Gegenstand einer Krankenbehandlung sein können. Die trägerübergreifende Zusammenarbeit wird insbesondere durch die Möglichkeit der Durchführung einer Gesamtplankonferenz optimiert.

Der Gesamtplan ist das wesentliches Steuerungsinstrument der persönlichen Leistungserbringung. Darum enthält er nach § 121 Absatz 4 SGB IX u.a. die Ergebnisse der Bedarfsermittlung, die hierfür eingesetzten Verfahren und Instrumente, die Maßstäbe und Kriterien der Wirkungskontrolle, die konkreten festgestellten Bedarfe, die geplanten bzw. durchgeführten Maßnahmen und vereinbarten Ziele sowie Aktivitäten. Für den Fall, dass keine Übereinstimmung zwischen den
Beteiligten über die Ziele erlangt wird, sind die abweichenden Vorstellungen des Menschen mit Behinderung im Gesamtplan festzuhalten. Anhand des Gesamtplans können Planungen und Ziele von Prozessen dokumentiert, überprüft und weiterentwickelt werden. Der Gesamtplan bedarf der Schriftform und soll regelmäßig, spätestens nach zwei Jahren
überprüft und fortgeschrieben werden. Damit wird sichergestellt, dass auf veränderte Bedarfe, Wünsche und Teilhabeziele der leistungsberechtigten Personen zeitnah und flexibel reagiert werden kann.

Der Gesamtplan soll das Vorgehen der Eingliederungshilfeträger transparent machen. Um die Partizipation der leistungsberechtigten Person zu stärken, hat der Träger der Eingliederungshilfe ihr den Gesamtplan zur Verfügung zu stellen, § 121 Absatz 5 SGB IX.

Nach § 117 SGB IX ist das Gesamtplanverfahren nach folgenden Maßstäben durchzuführen:

  1. Beteiligung des Leistungsberechtigten in allen Verfahrensschritten, beginnend mit der Beratung im Vorfeld des Verfahrens,
  2. Dokumentation der Wünsche des Leistungsberechtigten zu Ziel und Art der Leistungen,
  3. Beachtung der Kriterien transparent, trägerübergreifend, interdisziplinär, konsensorientiert, individuell, lebensweltbezogen, sozialraumorientiert und zielorientiert,
  4. Ermittlung des individuellen Bedarfes,
  5. Durchführung einer Gesamtplankonferenz,
  6. Abstimmung der Leistungen nach Inhalt, Umfang und Dauer in einer
  7. Gesamtplankonferenz unter Beteiligung betroffener Leistungsträger.

Durchführung des Gesamtplanverfahrens

Gemäß § 121 Absatz 2, 3 SGB IX ist das Gesamtplanverfahren auch im Rahmen der Fortschreibung der Eingliederungshilfeleistungen durchzuführen. Obwohl dies aus unserer Sicht immanent ist, sind die
leistungsberechtigten Personen auch im Vorfeld dieses Verfahrens über den Ablauf des Verfahrens, seine Ziele, die Beteiligten, die Rechte der Beteiligten sowie über das eigene Recht auf Begleitung samt der Information über die Tragung der Kosten dieser Begleitung zu informieren und auf die Antragsstellung sowie auf etwaige Rechtsmittel nach der
Bescheidung des Ergebnisses des Gesamtplanverfahrens hinzuweisen Dieses Verfahren entspricht demselben Verfahren wie im Rahmen der Erstbewilligung.

Im Vorfeld des Verfahrens haben die leistungsberechtigten Personen einen Anspruch auf Information und Beratung. Sie müssen ihre Rechte und Möglichkeiten kennen, um auf dieser Grundlage ihr eigenes Leben planen und gestalten zu können. Hieraus ergibt sich, dass die Beratung und Unterstützung von hoher Bedeutung sind. Die Landschaftsverbände sind
nach § 106 SGB IX zur umfassenden und kostenfreien Beratung und Unterstützung verpflichtet. Daneben gibt es weitere
Beratungsmöglichkeiten, vgl. § 106 Absatz 4, § 12 Absatz 1 SGB IX, über die die leistungsberechtigten Personen zu informieren sind.

Die leistungsberechtigte Person ist im Vorfeld auch darauf hinzuweisen, dass sie gemäß § 117 Abs. 2 SGB IX eine Person ihres Vertrauens an dem Gesamtplanverfahren beteiligen kann. Dies kann eine beim Leistungserbringer beschäftigte Person sein, dies kann aber auch jede andere dritte Person des Vertrauens sein, insbesondere ein ihn beratender anderer Mensch mit Behinderung oder eine vom Leistungsträger so weit wie möglich unabhängige Beratungsinstanz sein. Darüber hinaus sind
gesetzliche Betreuer*innen und Verfahrenspfleger*innen, Bevollmächtigte sowie Rechtsbeistände einzubeziehen.

Die leistungsberechtigte Person muss gemäß § 108 SGB IX einen Antrag auf Teilhabeleistungen stellen. Die sich daraus ergebende Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe darf nicht befristet gewährt werden, allerdings sollen die Landschaftsverbände nach spätestens 2 Jahren den Bedarfsumfang, auch im Interesse der leistungsberechtigten Person,
überprüfen, § 121 Absatz 2 SGB IX2. Das Verfahren um die Antragsstellung ist in jeglicher Hinsicht barrierefrei
zu gestalten.

Um die Bedarfsermittlung in der Eingliederungshilfe erfolgreich umzusetzen, empfiehlt der Deutsche Verein, die Berücksichtigung der folgenden Faktoren3. Die Bedarfsermittlung muss in einem sorgfältigen, konkreten, barrierefreien und umfassenden Verfahren durchgeführt werden. Die Bedarfsermittlung muss personenzentriert erfolgen, daher sind die Wünsche, Ziele und Vorstellungen des Menschen mit Behinderung zu erheben und zu dokumentieren, da sie auch als Grundlage für die Vereinbarung von Teilhabezielen zwischen Leistungsträgern und Leistungsberechtigten dienen. Der Leistungsträger hat sicherzustellen, dass er die Wünsche der leistungsberechtigten Person ganz konkret und umfassend erfasst. Er hat auch sicherzustellen, dass das Wahlrecht der leistungsberechtigten Person in jeglicher Hinsicht berücksichtigt wird. Dies setzt im Regelfall ein persönliches Gespräch mit dem Menschen mit Behinderung voraus. Für die Anwendung der fachlich fundierten Bedarfsermittlungsinstrumente bedarf es auch einer fachlichen und kommunikativen Kompetenz der beteiligten professionellen Akteure. Auch müssen ausreichend zeitliche und personelle Ressourcen eingeplant und zur Verfügung gestellt werden. Erforderlich ist eine konsensorientierte und interdisziplinäre Kooperation mit den Rehabilitationsträgern.

Die Position des Leistungsberechtigten erfährt durch die Gesamtplanung eine Stärkung, die durch die Auflistung konkreter Kriterien für das Bedarfsermittlungsverfahren auf eine fachlich fundierte Basis gestellt wird. Grundlage für die Beratung ist das Ergebnis der Bedarfsermittlung anhand des Instruments nach § 118. Danach wird der Bedarf für die neun Lebensbereiche (ICF) unter folgenden Aspekten erfasst:

  1. Art bzw. Form der Leistung (Sach- oder Geldleistung)
  2. Zeitliche Lage der Leistung (am Tag bzw. in der Nacht)
  3. Ort der Leistung
  4. Art des Leistungsmoduls (z. B. Tagesstruktur, WfbM, Nachtbereitschaft, häusliches Leben etc.)
  5. Zeitlicher Umfang der Leistung (in Stunden pro Woche)
  6. Leistungszeitraum
  7. Name und Anschrift der vorgesehenen Leistungserbringer (falls bekannt).

Wenn auf eine Gesamtplankonferenz verzichtet wird, ist die leistungsberechtige Person über den Sachstand zu informieren und einzubinden. Aus Gründen der Transparenz ist die leistungsberechtigte Person über die Gründe des Verzichts auf die Gesamtplankonferenz zu informieren.

In der (in ausführlicher Textform ausgeführten) zusammenfassenden Beschreibung der Bedarfssituation werden alle relevanten Einzelaspekte, die im Prozess ermittelt wurden, gesamthaft und aufeinander bezogen bewertet. Diese fachliche Beurteilung wird seitens des Leistungsträgers formuliert und mit der nachfragenden Person explizit abgestimmt. In die
fachliche Beurteilung ist auch die Sichtweise der nachfragenden Person aufzunehmen.

Die fachliche Beurteilung mündet in der Benennung von (möglichen) Nahzielen (mit Bezug auf die geäußerten persönlichen Ziele bzw. Anliegen der nachfragenden Person), die sich aus der zusammenfassenden Beurteilung der Bedarfssituation der nachfragenden Person im behandelten Lebensbereich ableiten. Diese können im jeweiligen Lebensbereich bereits notiert und später in der Zusammenfassung wieder angezeigt werden. Zudem soll pro Lebensbereich der Umfang professioneller Unterstützungsleistungen bzw. des Teilhabebedarfs in Stunden pro Woche geschätzt werden.

Hinsichtlich der im Rahmen des Gesamtplanverfahren durchzuführenden Bedarfsermittlung verweisen wir im Übrigen auf unsere entsprechenden Stellungnahmen.


Gesamtplankonferenz

Die Diskussion der festgestellten Bedarfe und wie diese gedeckt werden sollen, ist Kern der Gesamtplankonferenz. Die Durchführung der Gesamtplankonferenz kann von der leistungsberechtigen Person oder den beteiligten Rehabilitationsträgern vorgeschlagen werden. Der Eingliederungshilfeträger kann gemäß § 119 Absatz 1 Satz 3 SGB IX die
Durchführung einer Konferenz allerdings ablehnen, wenn der Sachverhalt schriftlich zu ermitteln ist oder der Aufwand zur Durchführung nicht in einem angemessenen Verhältnis zum Umfang der begehrten Leistung steht. Dann ist die leistungsberechtige Person über den Sachstand zu informieren und einzubinden. Aus Gründen der Transparenz ist die
leistungsberechtigte Person über die Gründe des Verzichts auf die Gesamtplankonferenz zu informieren.

In der Gesamtplankonferenz beraten der Träger der Eingliederungshilfe, und andere beteiligte Leistungsträger gemeinsam mit der leistungsberechtigten Person in einer für sie wahrnehmbaren Form umfassend über ihre Unterstützungsbedarfe und die zu deren Deckung notwendigen Leistungen. Der Träger der Eingliederungshilfe hat dafür zu sorgen, dass diese Konferenz barrierefrei ist, damit die leistungsberechtigen Personen in die Lage versetzt werden, sich zu beteiligen. Die Beratung über die Leistungserbringung erstreckt sich auch auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer pauschalen Geldleistung. Nach § 119 Absatz 2 Satz SGB IX ist auch der Verbleib eines Taschengeldbetrages, Anteil am Regelsatz nach § 27 a Absatz 3 SGB XII sicherzustellen. Die Form der Gesamtplankonferenz muss für eine adäquate Beteiligung der leistungsberechtigten Person geeignet sein. An der Gesamtplankonferenz nehmen die leistungsberechtige Person und der
Träger der Eingliederungshilfe teil. Nach § 117 Absatz 3 SGB IX können, wenn die leistungsberechtigte Person zustimmt, auch die Pflegeversicherung und der Sozialhilfeträger mit seiner Hilfe zur Pflege beteiligt werden.

Die Gesamtplankonferenz kann an jedem Ort durchgeführt werden, idealerweise an dem Ort, an dem sich die leistungsberechtigte Person wohlfühlt. In der Gesamtplankonferenz beraten die Teilnehmenden dann auf der Grundlage der Ergebnisse der Bedarfsermittlung und unter Berücksichtigung der Wünsche der leistungsberechtigten Person über die
zu erbringenden Leistungen. Bei komplexen Fallkonstellationen kann diese Konferenz die Bedarfsermittlung ergänzen, wenn trotz sorgfältiger und umfassender Bedarfsermittlung weiterhin unterschiedliche Auffassungen zum ermittelten Bedarf bestehen.

Das Ergebnis der Gesamtplankonferenz enthält auch die Angaben darüber, wer insgesamt an der Gesamtplanung mitgewirkt hat, dass die Konferenz durchgeführt wurde und wer daran teilgenommen hat. Die Ergebnisse werden Bestandteil des zu erstellenden Gesamtplans. Dieser ist dann die Grundlage des Leistungsbescheides, § 120 Absatz 2 Satz 1 SGB IX.


Leistungsbescheid

Am Ende des Verfahrens steht der Bewilligungsbescheid. Abgesehen von den Fällen der Erstbewilligung enthält dieser Bescheid nicht mehr die Antwort auf die Frage, ob die Leistungen der Eingliederungshilfe erbracht wird, sondern es geht allein um die Frage, wie dieser konkrete Bedarf im Höchstfall für die nächsten zwei Jahre gedeckt wird4. Der Erlass des
Bewilligungsbescheides durch den Träger der Eingliederungshilfe bildet den vorläufigen Abschluss des Gesamtplanverfahrens. Dieser Verwaltungsakt enthält mindestens Aussagen zu Art und Umfang der bewilligten Leistungen und zu den jeweiligen Leistungsvoraussetzungen. Daher sind im Gesamtplan in allen seinen Verfahrensschritten die
konkreten Inhalte, Ziele, sowie Art und Umfang der Leistungen darzustellen, die den individuellen Bedarf der/des Leistungsberechtigten abdecken.

Gemäß § 120 Absatz 1 SGB IX stellen nach Abschluss der Gesamtplankonferenz der Träger der Eingliederungshilfe und die
beteiligten Leistungsträger ihre Leistungen nach den für sie geltenden Leistungsgesetzen innerhalb der Fristen nach den §§ 14, 15 SGB IX fest, sprich innerhalb von 2 Wochen.

Der Gesamtplan soll innerhalb von zwei Monaten nach Antragseingang, nach den für die beteiligten Träger geltenden Leistungsgesetzen festgestellt werden. Auch wenn das Gesamtplanverfahren dialogisch ausgestaltet ist, so bleibt für die leistungsberechtigte Person immer noch die Möglichkeit, sich gegen den Bescheid durch das Rechtsmittel des
Widerspruchs zu wehren.

Zwingend durchzuführen ist eine Gesamtplankonferenz dann, wenn ein leistungsberechtigter Elternteil mit Behinderungen Leistungen zur Versorgung und Betreuung eines eigenen Kindes oder mehrerer eigener Kinder beantragt, § 119 Abs. 4 SGB IX.


Das Teilhabeplanverfahren

Besteht im konkreten Einzelfall Anlass zur Annahme, dass mehrere gleichzeitig durchzuführende oder aufeinander folgende Leistungen zur Teilhabe verschiedener Leistungsgruppen oder mehrerer Rehabilitationsträger oder des Integrationsamtes bzw. Inklusionsamtes zur Erreichung der Teilhabe erforderlich werden, ist ein Teilhabeplanverfahren durchzuführen, § 19 SGB IX. In diesem Fall ist ein ebenfalls notwendiges Gesamtplanverfahren Gegenstand des Teilhabeplanverfahrens.

Davon abgesehen dient das Teilhabeplanverfahren in Abgrenzung zum Gesamtplanverfahren der Koordination mehrerer erforderlicher Leistungen zur Teilhabe mit dem Ziel einer effektiven und effizienten Leistungserbringung. Es handelt sich um ein verbindliches, partizipatives Verfahren, das auch bei trägerübergreifenden Fallkonstellationen Leistungen „wie aus einer Hand“ gewährt und Nachteile des gegliederten Systems der Rehabilitation für die Menschen mit Behinderungen abbaut. Das Teilhabeplanverfahren wurde in den §§ 19 bis 23 SGB IX für alle Rehabilitationsträger im allgemeinen Teil des SGB IX geregelt. Das Verhältnis von Teilhabeplanverfahren und Gesamtplanverfahren regelt §21 SGB IX für den Fall, dass der Träger der Eingliederungshilfe auch für die Durchführung der Teilhabeplanung zuständig ist. Nach § 21 SGB IX
gelten die Vorschriften für die Gesamtplanung ergänzend, wenn der Träger der Eingliederungshilfe der für die Durchführung des Teilhabeplanverfahrens verantwortliche Rehabilitationsträger ist.

Kommen Leistungen verschiedener Leistungsgruppen (z.B. Soziale Teilhabe und Teilhabe am Arbeitsleben) oder mehrerer
Rehabilitationsträger in Betracht, ist nach § 19 SGB IX der leistende Rehabilitationsträger dafür verantwortlich, dass er und die beteiligten Rehabilitationsträger im Benehmen miteinander und in Abstimmung mit den Leistungsberechtigten erforderliche Leistungen so zusammenstellen, dass sie nahtlos ineinandergreifen können.

Auf Wunsch der leistungsberechtigten Person ist nach § 19 Abs. 2 Satz 3 SGB IX eine Teilhabeplankonferenz durchzuführen. Das Teilhabeplanverfahren ist transparent, individuell, lebensweltbezogen und zielorientiert zu gestalten. Die individuellen Wünsche und Bedürfnisse des Menschen mit Behinderung sind zu berücksichtigen.

Die Akteure der Teilhabeplanung sind, wenn erforderlich, nach § 22 SGB IX die Pflegekassen, Integrationsämter bzw. Inklusionsämter, Jobcenter oder die jeweils zuständige Betreuungsbehörde und andere öffentliche Stellen. Daneben können auf Wunsch oder mit Zustimmung der/des Leistungsberechtigten aber auch beispielsweise Leistungserbringer an der
Teilhabekonferenz teilnehmen, vgl. § 20 Abs. 3 SGB IX.

Das Verfahren führt dazu, dass auch die Leistungen der Eingliederungshilfe nach Teil 2 SGB IX in einem Teilhabeplan festgehalten werden müssen, wenn Leistungen mehrerer Rehabilitationsträger oder verschiedener Leistungsgruppen gemäß § 5 SGB IX erforderlich sind. Ein Teilhabeplanverfahren ist somit auch durchzuführen, wenn der Träger der
Eingliederungshilfe im Einzelfall alleiniger Rehabilitationsträger ist, aber Leistungen aus mehreren Leistungsgruppen wie Leistungen zur Sozialen Teilhabe und zur Teilhabe am Arbeitsleben benötigt werden. In diesen und in Fällen, in denen neben Leistungen der Eingliederungshilfe noch Leistungen anderer Rehabilitationsträger notwendig sind, ist das Gesamtplanverfahren vom Teilhabeplanverfahren umfasst. Es bleibt dabei, dass nur ein Träger als leistender Träger für die trägerübergreifenden Teilhabeleistungen zuständig ist.

Sofern Leistungen zur Teilhabe in Form eines persönlichen Budgets erbracht werden, werden die wesentlichen Inhalte der Zielvereinbarung nach § 29 SGB IX im Teilhabeplan berücksichtigt.5


Mittragende der gemeinsamen Forderung aus Perspektive der Selbsthilfe:


1 Internationalen Klassifikation von Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF)

2 Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. Januar 2021, Az.: B 8 SO 9/19 R, Rz. 35, 37, das BSG sieht die Möglichkeit der Befristung nur beim Vorliegen einer entsprechenden gesetzlichen Regelung.

3 Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gesamtplanung in der Eingliederungshilfe und ihr Verhältnis zur Teilhabeplanung, DV 01/19, verabschiedet am 18. Juni 2019, Seite 19

4 Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. Januar 2021, Az.: B 8 SO 9/19 R, Rz. 35, 37

5 Vgl. Gemeinsame Empfehlung der BAR zum Reha-Prozess (2019) (Fußn. 7)

Der LBR lädt zum „Parlamentarischen Frühstück“ ein

Zum „Europäischen Tag der Menschen mit Behinderung“ lädt der LBR am 5. Mai zum „Parlamentarischen Frühstück“ ein. Die Abgeordneten des Landtags sind eingeladen, mit den Mitgliedern des Landesbehindertenrates zu diskutieren. Es gibt zahlreiche wichtige Themen, an diesem Tag sollen jedoch als Schwerpunkte die Themen „Bauen + Wohnen“ sowie „Schulische Bildung“ im Mittelpunkt stehen. In der Wandelhalle des Landtags in Düsseldorf werden sich die Mitgliedsverbände des LBR präsentieren, die Parlamentarier sind auch hier eingeladen, an den Ständen der Mitglieder ins Gespräch zu kommen.