Landesorganisationen der Selbsthilfe fordern transparente Verfahren für Eingliederungshilfen junger Menschen mit Behinderungen
Vorbemerkung:
Entsprechend dem Auftrag des SGB IX sind in NRW inzwischen im Landesrahmenvertrag die wesentlichen Vertragsgrundlagen für Leistungen der Eingliederungshilfe getroffen worden. Vertragspartner dieser Vereinbarungen waren und sind gemäß § 131 SGB IX auf der einen Seite die „Träger der Eingliederungshilfe“ (Landschaftsverbände, Landkreise und kreisfreie Städte) und auf der anderen Seite die „Vereinigungen der Leistungserbringer“ (i.W. die Freie Wohlfahrt). Die dritte Bank mit beratender Stimme ist die organisierte Selbsthilfe als „Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen“. Die in diesem Vertragswerk verabschiedeten Rahmenbedingungen und Leistungsbeschreibungen werden nach Beratung in Arbeitsgruppen in der Gemeinsamen Kommission kontinuierlich konkretisiert und fortgeschrieben.
Im Rahmen einer Bewertung des bisherigen Verlaufs der Verhandlungen müssen wir als Landesverbände der Selbsthilfe feststellen, dass für junge Menschen mit Behinderungen die erzielten Vereinbarungen zum Teil wegen komplizierter Zuständigkeits- und Verfahrensregeln auf Landesebene leider nicht zu der vom Gesetzgeber gewünschten Einheitlichkeit und Transparenz beigetragen haben.
Dies betrifft insbesondere die ambulanten Eingliederungshilfen (s. dazu die Rahmenleistungsbeschreibungen zu A.2.6-8):
- Schulbegleitungen und Teilhabe an Bildung als Eingliederungshilfen nach (§ 112, 75 SGB IX),
- Assistenz für Kinder und Jugendliche im familiären Kontext (§§ 113, 79 SGB IX),
- Autismusspezifische Fachleistungen (§§ 112, 113, 75, 79 SGB IX) bei Autismus-Spektrum-Störungen.
1. Zur Regelung des § 1 AG-SGB IX NRW:
Die verwirrenden Zuständigkeitsregelungen finden sich zum einen in den in § 1 AG-SGB IX NRW vorgegebenen und wenig nachvollziehbaren Wechseln der Leistungsträgerschaft bei ambulanten Eingliederungshilfen für junge Menschen.
So liegt die Trägerschaft solcher Leistungen im Vorschulalter zunächst wie bei grundsätzlich allen Eingliederungshilfen bei den Landschaftsverbänden, wechselt mit der Einschulung zu den Kreisen und kreisfreien Städten über und nach dem Schulbesuch wieder zurück zu den Landschaftsverbänden. Dies bedeutet je nach Lebensalter unterschiedliche Zuständigkeiten vor, während und nach dem Schulbesuch, was für die Betroffenen und ihre Familien, für die beteiligten Leistungsträger wie auch für die Leistungserbringer mit Intransparenz, erheblicher Bürokratie, Verunsicherung, Kosten- und Zeitaufwand sowie Schnittstellenproblemen verbunden ist. Die Leistungserbringer, oft Organisationen der Selbsthilfe, sind dadurch mit einer Vielzahl von Vertragspartnern konfrontiert und müssen für die gleiche Leistung unterschiedlichste Verhandlungen führen.
Wir fordern daher vom Landesgesetzgeber in Abänderung von § 1 Abs. 2 auch für ambulante Eingliederungshilfen zugunsten junger Menschen eine altersunabhängige Zuständigkeit nach § 1 Abs. 1 AG-SGB IX NRW.
2. Zum Umgang mit Ansprüchen nach § 35a SGB VIII:
Eine weitere und zusätzliche Problematik ergibt sich für junge Menschen bei seelischen Behinderungen aus dem zunehmend uneinheitlichen Umgang der Jugendämter in NRW mit ambulanten Ansprüchen auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII.
Zwar werden in der Regel für Ansprüche auf ambulante Eingliederungshilfen nach § 35a SGB IX von den meisten Jugendämtern ggf. nach § 123 ff SGB IX getroffene Vereinbarungen zugrunde gelegt, wenn es sich um Leistungen handelt, die den gleichen Adressatenkreis betreffen. Dies entspricht dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers, indem er in § 35a SGB VIII ausdrücklich auf die Eingliederungshilfe nach dem SGB IX verweist. Zunehmend gehen Jugendämter aber dazu über, grundsätzlich eigene Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen verhandeln zu wollen, wenn für junge Menschen entsprechend dem Wunsch- und Wahlrecht nach § 5 SGB VIII ambulante Eingliederungshilfen beantragt werden.
Dies ist für alle Beteiligten mit Zeitaufwand, vermeidbarer Bürokratie und fehlender Transparenz verbunden und insbesondere dann nicht nachvollziehbar, wenn der Leistungserbringer hierfür eine Leistungs- und Vergütungsvereinbarung nach dem SGB IX getroffen hat, der die gleiche Fachkonzeption und Leistungsbeschreibung zugrunde liegt, wie dies bei Schulbegleitung, Assistenz im familiären Kontext und autismusspezifischer Fachleistung der Fall ist.
- Für solche Eingliederungshilfen auch seitens der Jugendämter grundsätzlich die ggf. nach § 123 SGB IX getroffenen Vereinbarungen anzuwenden, ist u.a. aus folgenden Gründen sinnvoll:
- Für diese ambulanten Eingliederungshilfen finden in NRW die für Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen geltenden Vorschriften der §§ 78b bis 78g gem. § 78a SGB VIII keine Anwendung.
- Für gleiche Leistungen bei gleicher Fachkonzeption und Leistungsbeschreibung unterschiedliche Vereinbarungen und Entgelte zu vereinbaren, widerspricht gegenüber den Leistungsberechtigten dem Gleichbehandlungsgrundsatz und verhindert schnelle und unbürokratische Hilfe.
- Dem Willen des Gesetzgebers nach möglichst einheitlichen Hilfen für Menschen mit Behinderungen widerspricht es, wenn es für die Jugendämter in NRW kein einheitliches, vorhersehbares und transparentes Verfahren für diese ambulanten Eingliederungshilfen gibt. Gemäß § 78a Abs.2 wäre dies auf Landesebene möglich.
- Die Träger der Jugendhilfe (Kommunale Jugendämter und Landesjugendämter) haben im Interesse der Einheitlichkeit landesweit nur eine Handreichung für Hilfen zur Erziehung, nicht aber für Eingliederungshilfen erarbeitet.
Wir fordern daher einen landeseinheitlichen Umgang mit Ansprüchen auf ambulante Eingliederungshilfen nach § 35a SGB VIII, was entweder durch die Landschaftsverbände und kommunalen Spitzenverbände mit einheitlichen, am SGB IX ausgerichteten Vorgaben erreicht werden könnte oder durch den Landesgesetzgeber gem. § 78a Abs. 2 SGB VIII.
Da inzwischen viele junge Menschen und ihre Familien von diesen Unsicherheiten betroffen sind und ihnen aktuell zunehmend schnelle Hilfen vorenthalten bleiben, bitten wir um eine zügige Befassung der
hier angesprochenen Themen.
Deshalb möchten wir auch ausdrücklich bitten, damit nicht auf die vom Gesetzgeber geplante Reform des SGB VIII zu warten, zumal die von uns vorgeschlagenen Änderungen bzw. Klarstellungen weder dem aktuellen noch den geplanten Änderungen entgegen stehen, sondern sogar schon Schritte in Richtung der angestrebten „integrierten Lösung“ sein können und nach unserer Überzeugung jetzt und in Zukunft mit Klarheit und unbürokratischen Abläufen den jungen Menschen, den Leistungsanbietern und auch den beteiligten Jugendämtern zugute kämen. Dies ist schon heute dringend geboten!
Düsseldorf, im Januar 2024
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