Inklusive Bildung in NRW: Artikel 24 UN-BRK umsetzen – ein inklusives Bildungssystem als Regelschulsystem aufbauen
In seiner Analyse zur Umsetzung des inklusiven Unterrichts vom April 2023 kommt das Deutsche Institut für Inklusion und Menschenrechte (DIMR) zu der Einschätzung, dass jungen Menschen ihr Potential nicht voll entfalten können, wenn ihnen der Zugang zu hochwertiger Bildung verweigert wird. Die Folgen seien u.a. weniger Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, keine wirtschaftliche Unabhängigkeit und Armut. Die Forschung habe gezeigt, dass diese Folgen in gesteigertem Maße für Menschen mit Behinderungen gelten, denen das Recht auf inklusive Bildung an einer allgemeinbildenden Schule verwehrt werde. Das sei faktisch für viele Schüler*innen in Deutschland der Fall, die in Förderschulen unterrichtet würden.
14 Jahre nach Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention ist die Umsetzung des inklusiven Unterrichts, abgesehen von Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein, in Deutschland kaum vorangekommen, und es gibt Prognosen, dass die Exklusionsquoten bis zum Jahr 2030 stagnieren werden.
Im Aktionsplan NRW inklusiv 2022 ist zwar die inklusive Bildung erwähnt und als Zielplanung angegeben, aber es sind weder konkrete Maßnahmen noch ein Zeitplan der Umsetzung angegeben.
Dies kritisieren auch die Behindertenbeauftragten auf ihrer Tagung in Düsseldorf am 9. Dezember 2022 und fassen ihre Forderungen im Forderungspapier der Behindertenbeauftragten des Bundes und der Länder zur inklusiven schulischen Bildung zusammen.
Die Monitoringstelle als Kontrollinstanz zur Umsetzung der UN-BRK kritisiert zum wiederholten Male die mangelhafte Umsetzung einer inklusiven Bildung und weist daraufhin, dass „falsche Weichenstellungen“ gesetzt worden sind. Sie empfiehlt unter anderem folgendes:
- Änderung des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes und Aufhebung des Haushaltsvorbehalts bezüglich des Rechtsanspruchs auf inklusive Beschulung
- Umschichtung personeller und finanzieller Ressourcen von den Förderschulen zu inklusiven Schulen;
- Unterstützung der Kommunen, um die Voraussetzungen für ein inklusives Bildungssystem zu schaffen;
- Einbeziehung der bimodalen und bilingualen Beschulung von gehörlosen und hochgradig schwerhörigen Schüler*innen in allgemeinbildenden Schulen in ein inklusives Gesamtkonzept…
Eine Förderung von Kindern mit Beeinträchtigungen ist in der Regelschule möglich, wenn die Klassengröße grundsätzlich verringert wird und ständig zwei Lehrpersonen anwesend sind, die auf die besonderen Bedarfe aller Kinder zeitnah und bedarfsgerecht eingehen.
Wir unterstützen die Forderung von Klaus Klemm in seiner Expertise Bildungspolitische Strategien inklusiver Bildung in Deutschland, März 2020, das Elternwahlrecht zu Gunsten von Förderschulen aufzuheben, obwohl wir wissen, dass Eltern die Förderschulen als Ganztagsschulen mit ihren therapeutischen Angeboten schätzen.
Bis zum Aufbau eines umfassenden inklusiven Regelschulsystems sollten die bestehenden Förderschulen für Kinder ohne Beeinträchtigungen geöffnet werden.
Die ungleiche Entlohnung von pädagogischem Personal in den Förderschulen und Regelschulen ist aufzuheben.
Aktuell stehen wir vor der Situation, dass die Umsetzung der UN-BRK in Kindertageseinrichtungen vermehrt geschieht, im Primarbereich lediglich auf Antrag der Erziehungsberechtigten und im Sekundarbereich sowie in Berufsbildenden Schulen / Ausbildung äußerst selten.
Der Zugang zu Bildung ist eine wesentliche Bedingung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – im Sinne eines lebenslangen Lernens dient Bildung der Entfaltung der Persönlichkeit und der Weiterentwicklung von Kompetenzen bis ins hohe Alter. Lebenslange Bildung ist daher gesetzlich in Art. 24 der UN-BRK verankert. Erwachsene Menschen mit Behinderungen und insbesondere Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf haben bisher jedoch wenig Möglichkeiten, über die gesamte Lebensspanne Bildungsangebote wahrzunehmen.
Im Kontext der weiterführenden bzw. außerschulischen Bildung im Aktionsplan NRW sind keine Maßnahmen für Erwachsene mit hohem Unterstützungsbedarf geplant. Einer Bildungsverpflichtung zur inklusiven Erwachsenenbildung, wie auf S. 57 des Aktionsplans benannt, kommt die Landesregierung somit nicht nach.
Wir fordern daher:
Die Teilnahme an Bildungsveranstaltungen muss Menschen mit Behinderungen im §2 Abs. 6 Weiterbildungsgesetz (WBG NRW) uneingeschränkt zugesichert werden und darf nicht an finanziellen und baulichen/technischen Barrieren scheitern.
Menschen mit Beeinträchtigungen müssen in die inklusive Erwachsenenbildung einbezogen und als Lehrende qualifiziert werden.
Die Teilnahme an Bildungsveranstaltungen muss Menschen mit Behinderungen im §2 Abs. 6 Weiterbildungsgesetz (WBG NRW) uneingeschränkt zugesichert werden.
Der Aktionsplan NRW inklusiv hält gute Angebote zur Aufnahme einer Tätigkeit oder Arbeit bereit (Budget für Arbeit, Modifizierte Ausbildungsgänge, Hilfsmittelpools…). Wir hoffen, dass die neuen gesetzlichen Regelungen der Bundesregierung zum „Inklusiven Arbeitsmarkt“ (März 2023) die bestehenden Angebote noch verbessert, da jede Bildung in eine bezahlte, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung einmünden soll. Selbstbestimmte Teilhabe ist ohne finanzielle Absicherung nicht möglich.
Last but not least sei auf die fehlende Teilhabeunterstützung von chronisch kranken Schüler*innen hingewiesen. Die durch deren Krankheit bedingten häufigen Unterrichtsausfälle werden nicht institutionell kompensiert, stellen eine starke psychische Belastung für die Betroffenen dar und führen oft zu Klassenwiederholungen. Hier ist großer Handlungsbedarf!
Düsseldorf, 05.05.2023
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