Forderungen des Landesbehindertenrates NRW e.V. zur Novellierung der BauO NRW
Für die freie Wahl des Wohnortes und der Wohnform für Menschen mit Behinderung sind bezahlbare, barrierefreie Wohnungen in ausreichender Zahl unerlässlich. Laut Teilhabebericht der Landesregierung bewerten lediglich 18% der erwachsenen Menschen mit Beeinträchtigungen in NRW ihre Wohnung bzw. ihr Haus als „altengerecht, barrierefrei“. Nach Berechnungen der Wohnungsmarktprognose bis 2040 fehlen derzeit in NRW rund 438.000 barrierefreie Wohnungen – und zusätzlich müssen bis 2040 672.320 weitere altersgerechte Wohnungen neu entstehen, um den Bedarf zu decken.[1] Weiter heißt es in dem Bericht: „Die Herausforderung, altersgerechten Wohnraum bereitzustellen, betrifft grundsätzlich alle Regionen in Nordrhein-Westfalen, denn alle Kreise und kreisfreien Städte sind mit einer steigenden Zahl an Haushalten mit älteren Menschen konfrontiert.[2]“
Gemäß der Legaldefinition der Barrierefreiheit in § 2 Abs. 10 BauO NRW sind bauliche Anlagen, auch Wohnungen, dann barrierefrei, soweit sie für alle Menschen, insbesondere für Menschen mit Behinderungen, in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Die bisherige Regelung in § 49 der Landesbauordnung, wonach sowohl öffentlich zugängliche bauliche Anlagen als auch Wohnungen in Gebäuden der Gebäudeklassen 3 bis 5 nur in einem unklar definierten „erforderlichen Umfang“ barrierefrei sein mussten, stellte aus Sicht des Landesbehindertenrates eine unzulässige Einschränkung dieser Legaldefinition da. Daher begrüßen wir die nunmehr vorgesehene Streichung des unbestimmten Rechtsbegriffs „im erforderlichen Umfang“ ausdrücklich. Die DIN-Normen für barrierefreies Bauen sind in NRW jedoch noch nicht komplett eingeführt wurden, obwohl dies die wesentliche Grundlage für die Schaffung von wirklicher Barrierefreiheit ist.
Auch würde die begrüßenswerte Streichung des „erforderlichen Umfangs“ konterkariert durch die geplante erhebliche Ausweitung möglicher Abweichungen von den Barrierefreiheitsregeln durch weitere beabsichtigte Änderungen in der Landesbauordnung. So soll künftig § 49 generell in die möglichen Abweichungsfälle nach § 69 Abs. 1 Satz 3 einbezogen werden, die zudem um einen weiteren Ausnahmetatbestand ergänzt werden. Höchst problematisch erscheint dies im Fall von Satz 3 Nr. 1, „wenn Gründe des allgemeinen Wohls die Abweichung erfordern“. Nach Satz 5 liegen Gründe des allgemeinen Wohls „insbesondere bei Vorhaben zur Deckung dringenden Wohnbedarfs, bei Vorhaben zur Berücksichtigung der Belange des Klimaschutzes
und der Klimaanpassung oder aus Gründen der Stadtentwicklung“ vor, womit bereits ein Großteil der Bautätigkeit der kommenden Jahrzehnte erfasst sein dürfte. Dem Grunde nach wird hier ein möglicher Zielkonflikt zwischen dem Allgemeinwohl und dem menschenrechtlichen Ziel der Barrierefreiheit unterstellt, obwohl doch allgemein anerkannt sein müsste, dass die Verwirklichung von Menschenrechten unverzichtbarer und grundlegender Teil des Allgemeinwohls ist.
Auch die zusätzliche Möglichkeit zur Abweichung von § 49 zwecks „praktischer Erprobung neuer Bau- und Wohnformen“ findet unseren entschiedenen Widerspruch. Laut Gesetzesbegründung soll diese „Innovationsklausel … Raum für kreative Lösungen für Bauaufgaben bieten“[3]. Eine Errichtung von Barrieren im Zuge der Erprobung neuer Bau- und Wohnformen, wäre jedoch weder kreativ noch innovativ, sondern schlicht diskriminierend.
Wir fordern daher, die gesetzlichen Vorgaben zur Barrierefreiheit gemäß § 49 nicht einzuschränken und auf die oben dargelegten Änderungen in § 69 Abs. 1 zu verzichten.
Der LBR fordert weiter:
- die DIN-Vorschriften zum barrierefreien Bauen in vollem Umfang in Landesrecht umzusetzen,
- die o.g. Vorschriften zu streichen bzw. so zu konkretisieren, dass sie nicht zur Einschränkung der Barrierefreiheit führen,
- Förderangebote für Wohnungsneubau und den barrierefreien Umbau im Bestand massiv auszuweiten.
Düsseldorf, 05.05.2023
[1] MHKBG NRW, Wohnungsmarktgutachten über den quantitativen und qualitativen Wohnungsneubedarf in Nordrhein-Westfalen bis 2040 (Wohnungsmarktprognose 2040), S. 74.
[2] Wohnungsmarktprognose 2040, S. 74.
[3] Vgl. Begründung zu § 69, S. 34.