Offener Brief des lvkm.nrw zum Rundschreiben Nr. 41/3/2024 „Eingliederungshilfeleistungen für Kinder mit (drohender) Behinderung – individuelle heilpädagogische Leistungen“

Sehr geehrte Frau Lubek, sehr geehrter Herr Dannat, sehr geehrte Damen und Herren,

der Landesverband für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung NRW e.V. (lvkm.nrw) ist ein landesweit tätiger Selbsthilfeverband mit insgesamt über 60 Mitgliedsorganisationen, die auch Dienstleistungen im Elementarbereich anbieten (Kitas, Frühförderstellen, Inklusionszentren etc.). Der lvkm.nrw ist kein eigenständiger Träger von Dienstleistungen der Eingliederungshilfe oder Kinder- und Jugendhilfe. Wir verstehen uns als unabhängiges Sprachrohr vor allem für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit hohen Unterstützungsbedarfen und deren Angehörige. Wir kommentieren kritisch Gesetzgebungen, Regelungen und Leistungsvereinbarungen zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern dann, wenn wir wesentliche Nachteile für die Lebenssituation der Betroffenen befürchten oder diese beseitigen möchten.

Das Rundschreiben Nr. 41/3/2024 „Eingliederungshilfeleistungen für Kinder mit (drohender) Behinderung – individuelle heilpädagogische Leistungen“ führte in den Reihen unserer Mitgliedsorganisationen, unter ihnen langjährige inklusive Kitas mit Erfahrungen in der Versorgung von Kindern mit hohen Unterstützungsbedarfen sowie Inklusionszentren, zu erhöhter Besorgnis in Bezug auf die Versorgung und Unterstützung von Kindern mit hohen Unterstützungsbedarfen in inklusiven Kindertageseinrichtungen.

Wir begrüßen die Zielsetzung der KiBiZ-Reform einer inklusiven und nachhaltigen KiTa-Landschaft in NRW. Wir stellen bei der aktuellen Umsetzung jedoch fest, dass die Begleitung von Kindern mit hohem Unterstützungsbedarf auch für bereits erfahrene und jahrelang inklusiv arbeitende Kindertageseinrichtungen zum aktuellen Zeitpunkt herausfordernd ist. Die Basisleistung I entspricht nicht den Bedarfen der Kinder mit hohen Unterstützungsbedarfen.
Hinzukommt, dass die Kitas, die bereits ein inklusives Konzept etabliert haben und leben, eine starke Nachfrage von Familien mit Kindern mit hohen Unterstützungsbedarfen erleben, was bei Aufnahme zu einer Konzentration an Kindern mit vielfältigen, speziellen Bedarfen führt. Da die Basisleistung II noch nicht verhandelt ist, sind die individuellen heilpädagogischen Leistungen eine Notwendigkeit, um eine adäquate Versorgung von Kindern mit hohen Unterstützungsbedarfen zu gewährleisten und ein wichtiger Baustein in der Etablierung eines inklusiven Settings. Wir unterstützen die Gesetzgebung in der Hinsicht, dass individuelle heilpädagogische Leistungen nur bewilligt werden, wenn es wirklich nötig ist. Wir machen jedoch die Beobachtung, dass die aktuelle Handhabung und Bewilligung von individuellen heilpädagogischen Leistungen uneinheitlich erfolgt. Somit kommt es vor, dass die Bearbeitungszeit oft so lange dauert, dass die Leistung erst verspätet einsetzt und die Kinder bis zur Bewilligung nicht in der Kita betreut werden können. Die daraus resultierende Belastung in der Familie verdeutlicht meist die Notwendigkeit einer Inklusionshilfe. Die Gewährung von individuellen Leistungen erst nach Eintrit in die Kita sehen wir als eine Verstärkung der beschriebenen Herausforderung im aktuellen inklusiven Kita-Alltag.

Die Auswirkungen der Situation in den Kitas auf den Lebensalltag von Kindern mit hohen Unterstützungsbedarfen und deren Familien sind erheblich.

So weisen die Erfahrungsberichte aus Inklusionszentren u.a. auf folgende Herausforderungen hin:

  • Kinder mit hohen Unterstützungsbedarfen erhalten seltener einen KiTa-Platz, u.a. aufgrund der Unsicherheit in Bezug auf Refinanzierung des Mehrbedarfs auf Seiten der Kitas.
  • Die Basisleistung I reicht nicht aus, um Kinder mit hohen Unterstützungsbedarfen in einem inklusiven Setting qualitativ gut zu versorgen. Laut unseren Beobachtungen kann die Qualität der Therapien in den inklusiven Kitas nachlassen, da z.B. externe Therapeuten in die Kitas kommen (Kind wird nicht im Alltag erlebt, wenig Flexibilität, um auf die Tagesform des Kindes einzugehen etc.) und ein erhöhter Abstimmungsbedarf im Team besteht.
  • Fachkräftemangel und hohe Krankheitsstände beim Personal wirken sich besonders nachteilig auf Familien mit Kindern mit hohen Unterstützungsbedarfen aus, da die Versorgung der Kinder in Zeiten der Notbetreuung schwieriger gewährleistet werden kann. Eltern von Kindern mit hohen Unterstützungsbedarfen müssen ihre Kinder daher häufiger zu Hause lassen. Sie haben auch seltener die Möglichkeit, auf ihr privates Umfeld zurückzugreifen. Das Nachgehen einer Berufstätigkeit wird für Eltern erschwert, die finanzielle Belastung in den Familien steigt.

Uns ist bewusst, dass die Bereitstellung von individuellen heilpädagogischen Leistungen nicht die alleinige Lösung der vielfältigen und komplexen Probleme ist. Jedoch empfinden wir das o.g. Rundschreiben in der aktuellen Situation als ein fatales und abschreckendes Signal an Kindertageseinrichtungen, Kinder mit hohen Unterstützungsbedarfen im inklusiven Setting zu betreuen.
Wir wünschen uns daher eine differenzierte Darstellung der Situation der inklusiven Kindertageseinrichtungen, die Kinder mit hohen Unterstützungsbedarfen aufnehmen und versorgen. Wir sehen es als dringend erforderlich, einen klaren Orientierungsrahmen für die Zugangsvoraussetzungen und Bewilligungskriterien für die individuellen heilpädagogischen Leistungen zu kommunizieren, um Unsicherheiten bei den Kita-Trägern vorzubeugen. Wir sprechen uns klar für die Möglichkeiten flexibler und personenorientierter Lösungen aus.

Sehr gerne sind wir zu einem näheren Austausch und der gemeinsamen Suche nach konstruktiven Lösungen, auch unter Heranziehung der Erfahrungen der benannten inklusiv arbeitenden Kitas und Inklusionszentren bereit und freuen uns über eine Rückmeldung Ihrerseits.

Mit freundlichen Grüßen

Marc Haine
Vorstand

Julia Fischer-Suhr
Geschäftsleitung

Kontakt:
Landesverband für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung NRW e.V.
Julia Fischer-Suhr
Brehmstraße 5-7
40239 Düsseldorf
Tel. 0174 802 58 03
Mail. j.fischer-suhr@lvkm-nrw.de

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